Wann
20.11.2010 – 20:00 Uhr
Dirigent: Frank Strobel
Orchester: hr-Sinfonieorchester
Chor: Vokalensemble Kölner Dom
Ort: Kölner Philharmonie
Was wären die Filme Hitchcocks ohne den Einfluss seine anfänglichen Leibkomponisten Bernard Herrmann? Kommt man einmal in den Genuss einer orchestralen Live-Aufführung wie es sie im Rahmen der Reihe Der Meisterregisseur und sein Komponist der Kölner Philharmonie gab, so kann man dem Musiker wenigstens einen Teil der hitchcockschen Magie zuschreiben. Immerhin hat die Zusammenarbeit (und Freundschaft) sieben Filme lang gehalten, ehe sich der Weg der beiden während der Arbeiten zu Torn Curtain trennte. Verewigt hat sich Herrmann mit seinen einzigartigen Melodien, deren Themen man sofort mit Hitchcocks Filmen in Verbindung bringt – allen voran Psycho und Vertigo. Die ersten Takte dürften genügen, um selbst normalsterblichen Kinogängern die berüchtigte Duschszene in Erinnerung zu rufen. Filmfreaks summen vermutlich jeden Ton mit. Aber natürlich auch durch seinen Auftritt als Orchesterdirigent im Finale von Der Mann, der zuviel wusste.
Daher scheint es nahe liegend für den auf Filmmusik spezialisierten Dirigenten Frank Strobel (der u.a. auch die Premiere der jüngst restaurierten Metropolis-Fassung im Rahmen der Berlinale 2010 dirigierte), einen Einblick in die Klang- und Bildwelt dieser Meisterwerke zu geben. Denn nicht genug damit, ein komplettes Orchester samt Chor aufzufahren, verwandelt sich die Philharmonie Dank eines gewaltigen Bildschirms in einen Vorführungssaal.
Während sich davor Dirigent und Musiker in Ekstase spielen, flimmern dahinter Ausschnitte und Szenefotos dahin, an manchen Stellen spielt das Orchester synchron zum Leinwandgeschehen. Das ist beeindruckend und mitreißend, wie der Applaus der gut gefüllten Ränge beweist.
Vertigo – Aus dem Reich der Toten (1958)
Suite
Prelude
The Nightmare
Scène d’amour
Zugegeben, Vertigo ist einer meiner Lieblingsscores und daher zwangsweise von quasi hypnotischer Wirkung, aber auch darüber hinaus ein passend gewählter Einstieg. Die Zuhörer fallen wie Protagonist Scotty in die Tiefe, lassen sich einfangen von den traumhaft-sphärischen Klängen und erahnen durch die dunklen Untertöne bereits, dass dieser Abend noch weitaus mehr bereithält. Tatsächlich war der Auftakt mit dem Vertigo-Thema ein Gänsehautmoment – live wirkt das ganze noch fesselnder. Der einzige kleine Wermutstropfen war vielleicht der nicht ausgeschöpfte Bildschirm – es gab nur eine Kollage von Scotty und Madeleine. Der ultimative Hitchcock-Kick wäre sicherlich der Vorspann von Saul Bass gewesen.
Daher hier noch mal zum Genießen:
Immer Ärger mit Harry (1955)
Portrait of Hitch
Herrmanns Können beschränkte sich nicht nur auf Spannung und Wahnsinn vermittelnde Kompositionen – durch seine Arbeit an Immer Ärger mit Harry bewies er auch ein Gefühl für lustige Momente. Hitchcocks makaberer Humor muss da wohl nicht weiter erwähnt werden.
Unterlegt wurde das Spiel des Orchesters mit etlichen Aufnahmen vom Großmeister, der es verstand, nicht nur seine Filme, sondern auch sich selbst zu inszenieren.
Das ergab insgesamt einen auflockernden Übergang zum theatralischen nächsten Teil.
Der unsichtbare Dritte (1959)
Overture
The Wild Ride
Conversation Piece
The Match Box
Finale
Nach der morbiden Leichtigkeit eines toten Harrys, ging es fulminant weiter. Von Thornhills vernebelter und lebensgefährlicher Autofahrt, über die “Konversation” mit Eve und seinem Durchstreifen der Villa, bis hin zum großen Finale auf Mount Rushmore – das Orchester begleitete die stummen Filmausschnitte auf der Großleinwand. Das war dann die eigentliche Initialzündung für die Verquickung von Live-Musik und Kino. Die gebannten Zuschauer hingen nun endgültig am Haken und mussten sich dann doch in die Pause begeben. Wer einen Blick ins Programmheft geworfen hatte, der wünschte sich, dass die Viertelstunde wie im Fluge vergehen sollte. Denn es wartete …
Psycho (1960)
Prelude
The City
The Rainstorm
The Madhouse
The Murder
The Water
The Swamp
The Stairs
The Knife
The Cellar
The Murder
Finale
Nicht nur das Kernstück der Herrmann-Hitchcock-Kooperation, sondern auch das des Konzertabends. Während im Hintergrund Filmsequenzen liefen, spielte sich das Orchester die Seele aus dem Leib. Den Anfang machte wiederum der Meister selbst, indem er in gewohnter Manier sein Werk anpries. Danach blieb dem Publikum nichts anderes übrig, als sich in den Bann schlagen zu lassen, während Marion ihrem Untergang entgegen fuhr. Und über die Duschszene braucht man nicht mehr viele Worte zu verlieren – nur, dass sie im Konzertsaal eine ganz eigene Dramaturgie und Wirkung hatte.
Das ganze war ein kompakter Horrortrip ins Bate’s Motel, nach dem die Zuschauer erst einmal wieder zu Atem kommen mussten.
Marnie (1964)
A Tone Poem for Orchestra
Marnie
Mark
Lil
Forio
Bernice
Dies durften sie mit dem beinahe schon leicht dahingleitenden Score zu Marnie. Nach der musikalischen und visuellen Heftigkeit der Psycho-Stücke, gab es hier nur ein Standbild der Licht umkränzten Marnie.
Dabei stellte sich mir die Frage, ob die Reihenfolge der präsentierten Titel wirklich gelungen war, denn nach dem Besuch bei Bates war es bei Tippi beinahe schon zu entspannend. Man hätte das Publikum vielleicht mit dem Psycho-Effekt aus dem Saal schicken sollen. Doch …
Der Mann, der zuviel wusste (1956)
Prelude
The Storm Clouds Cantata
.. welch besseres Finale könnte es für ein Konzert geben als ein … Konzert? Insofern war die Reihenfolge der Filme gut gewählt, denn mit dem bombastischen The Storm Clouds Cantata in voller Orchesterbesetzung samt Chor (!) rollte das Können von Dirigent Strobel noch einmal über die Ränge hinweg. Perfektes Timing war notwendig, um die Live-Musik exakt am Filmgeschehen entlang laufen zu lassen. Und das gelang eindrucksvoll. Ein würdiges Final für das Aufspielen des Ensembles und auch für Bernard Herrmann selbst, der im Film dirigierte. Mehr konnte man sich wirklich nicht wünschen.
Der anhaltende Applaus, sogar vereinzelte Standing Ovations, war vollkommen gerechtfertigt.
Fazit
Ein phantastischer Filmmusikabend – falls sich noch einmal die Gelegenheit bietet, unbedingt nutzen. Der Preis – zumindest in der Philharmonie – war nicht ganz günstig, aber letztendlich in Ordnung. Und natürlich noch mal Hitchcock gucken.