Name: James Crumley
Geboren: 12. Oktober 1939
Gestorben: 17. September 2008
Berufe: Schriftsteller, Geheimdienstler, Barmann
Pseudonyme: –
Biografie
On the Noir Road: Die schmutzigen Straßen des James Crumley
Oder: Wie ein US-Krimiautor seine literarischen Asphalt-Cowboys auf dem Weg in die Katastrophe begleitet.
von Martin Compart
Ich schreibe jetzt seit über 30 Jahren – und sie haben mich noch immer nicht in den Knast gesteckt, sagt der Mann, der die wüstesten Privatdetektivromane verfaßt und mit Mitte 60 noch immer so aussieht, als würde er in seiner Lieblingskneipe (Charly´s) jeden umhauen, der den falschen Merle-Haggard-Song drückt. Leider veröffentlicht er zu wenig, um wirklich der Superstar zu sein, der er sein könnte: nur sieben Romane in 33 Jahren. Aber die sind von solcher Qualität, daß man ihm das verzeiht.
Ich habe viel mehr geschrieben als veröffentlicht. Ich schreibe permanent um. Das erste Kapitel von “Last Good Kiss” habe ich zwei Jahre lang umgeschrieben. Im Buch ist die 18. Fassung. Es macht eine Menge Arbeit, wenn man spontan rüberkommen will. Ich habe nie einen Roman oder ein Drehbuch geschrieben ohne eine Handgranate drin.
Keines von Crumleys Drehbüchern (und keiner seiner Romane) wurde bisher verfilmt. Trotzdem legen die Fans für schön gebundene Originaldrehbücher zwischen 100 und 300 Dollar hin. Hollywood bringt eben gutes Geld. Und das braucht er. Denn Crumley ist zum fünften Mal verheiratet, hat einen Haufen Kinder und Enkel, und die Alimente machen ihm schwer zu schaffen.
Der 1939 in Südtexas geborene Autor brachte sich als Dreijähriger selbst das Lesen bei: In Texas liest man nur heimlich – das ist so wie beim Onanieren. Sein Vater schlug sich auf den Ölfeldern durch, seine Mutter als Kellnerin. Noch heute ist er ein stolzer Vertreter der Arbeiterklasse und verachtet die Mittelschicht. Wenn man aus meiner Gesellschaftsschicht stammt, fühlt man sich immer schuldig, wenn man nicht körperlich arbeitet. Egal, wie hart die Schriftstellerei ist, sie ist keine richtige Arbeit.
Ein Jahr lang ging er in Georgia aufs College, um Ingenieurswissenschaften zu studieren. Das gefiel ihm nicht, also wechselte er 1959 zur Army. Der Querkopf spielte Football und war beim Geheimdienst auf den Philippinen, was ihm den Rohstoff für seinen ersten Roman “One to Count Cadence” lieferte. Ein früher Vietnamroman war …nicht “anti” genug für die Linken und nicht “pro” genug für die Rechten. Heute würde ich ihn mehr “anti” schreiben.
1961 verließ er Uncle Sams Truppe und landete in Iowa City, um Geschichte zu studieren und nebenbei als Barmann zu arbeiten. Ersteres politisierte ihn, letzteres machte ihn zum überzeugten Säufer. Wir wollen gar nicht so tun, als gäbe es Frühstück. Suchen wir einfach die nächste Bar.
Der ehemalige Linebacker erlebte die 60er Jahre nicht als Früh-Hippie, sondern als später Beat. Ich ließ mir zwar die Haare wachsen und nahm eine Menge Drogen, identifizierte mich aber nicht wirklich mit dem Movement. In meiner Zeit beim SDS gab es zu viele Mittelschichtarschlöcher, die entsetzt erkannten, wie die Bullen mit den Armen oder Farbigen umsprangen. Den Scheiß wußte ich schon lange. Auch bei der Antikriegsbewegung der Veteranen und später im Umweltschutz mischte Crumley mit. Der Vietnamkrieg hat dieses Land endgültig ruiniert. Nicht weil er verloren wurde, sondern weil er eine Lüge war. Die Regierung lügt noch immer darüber. Aber die lügt eben über alles. Die heilige Dreifaltigkeit der amerikanischen Macht sind Drogen, Geld und Munition.
Inspiriert von Chandler, mit dem er oft verglichen wird (“Ohne Chandler gäbe es mich nicht”), schrieb Crumley 1975 seinen ersten PI-Krimi um den Helden Milo. Diesem Buch folgte 1978 das Meisterwerk “The Last Good Kiss”, der beste Privatdetektivroman seit “The Long Goodbye”, ohne den kein echter Noir-Fan auskommt. Darin spielte Sughrue – sein anderer Held – die Hauptrolle. Milo ist meine gute Seite, Sughrue meine schlechte. Beide sind Nomaden, die außerhalb des gesellschaftlichen Moralcodes durch den Westen vagabundieren. Sie haben ein Leben voller Zorn und Groll hinter sich und mehr mit Hunter S. Thompson gemein als mit Marlowe. Oder auch mit Kerouac. Denn Crumleys Romane sind schwarze Roadmovies, in denen miese Absteigen, bösartige Grenzstädte, die in die Landschaft hineinfaulen, und elende Bars voller Rednecks eine Topographie des Grauens bilden. Und mittendrin treiben sich seine saufenden, koksenden und kiffenden Asphalt-Cowboys herum, immer “on the road to desaster”.
Es gibt keinen literarischen Privatdetektiv, der tiefer in die Abgründe hinuntergestiegen wäre als Crumleys Protagonisten. Weder Milo noch Sughrue würden je einem Klienten sein Geld zurückgeben. Sie sind Veteranen der 60er Jahre und Antipoden zu so unappetitlichen Gestalten wie Joschka Fischer oder Cohn-Bendit. Die Enttäuschung über die verlorenen Illusionen der Swinging Sixties, obwohl diese längst tot und begraben sind, schwingt in Crumleys Romanen immer mit.
1983 erschien der grandiose “Dancing Bear”, dann war für zehn Jahre Schluß. Ausgebrannt schickte Crumley 1993 endlich Sughrue wieder ins Rennen, um der sich in Auflösung befindlichen Welt ordentlich in den Arsch zu treten. Das war in “Mexican Tree Duck”, für den er mit dem Dashiell-Hammett-Preis ausgezeichnet wurde.
In “Bordersnakes” führte er seine von zu vielen Meilen auf den falschen Straßen erschöpften Helden gemeinsam durch eine Literatur für alternde Säufer und Raufbolde, die aus der Pubertät direkt in die Rente marschieren. Gewöhnlich sehe ich mein zerschlagenes, vom Whiskey gezeichnetes Gesicht lange an, auf der Suche nach dem Gesicht, das es hätte sein können, wären die vergeudeten Jahre, die Bars, die langen Nächte nicht gewesen.
Keiner von ihnen zehrt wirklich noch von den Notrationen der Hoffnung: Junge Männer halten den Frühling für die Zeit der Erneuerung, aber für diejenigen von uns, die ein paar Biere im Bauch und etliche Meilen auf dem Buckel haben, ist der Frühling nichts als eine falsche Verheißung. Und im neuen Roman “Final County” resigniert Milo: Ein Mann kann eine glückliche Frau unglücklich machen, aber keine unglückliche Frau glücklich.
Seit 1984 lebt Crumley in Missoula, Montana: Hier gibt es 70 oder 80 Schriftsteller und weitere 200 Leute, die irgendwie schreiben. Die Bardichte ist ebenfalls exzellent. Zu Hause ist man, wo man seinen Kater pflegt.
Leser, die Crumley noch nicht kennen, sind zu beneiden: sie haben ihn noch vor sich. Uns anderen bleibt nur übrig, ihn immer wieder zu lesen.
Nachtrag: James Crumley verstarb nach längerer Krankheit am 17. September 2008 im St. Patrick Hospital, Missoula.
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Rezensionen
Bibliografie
Deutscher Titel | Originaltitel | Jahr |
– | One to Count Cadence | 1969 |
Schöne Frauen lügen nicht | The Wrong Case | 1976 |
Der letzte echte Kuss | The Last Good Kiss | 1978 |
Der tanzende Bär (Kerle, Kanonen und Kokain) | Dancing Bear | 1983 |
– | Pigeon Shoot | 1987 |
– | Whores | 1988 |
– | Muddy Fork and Other Things | 1991 |
Tequila Blues | The Mexican Tree Duck | 1993 |
Jeder gräbt sein eigenes Grab | Bordersnakes | 1996 |
– | The Putt at the End of the World | 2000 |
Land der Lügen | The Final Country | 2001 |
– | The Right Madness | 2004 |