Lord Greystoke, ein hoher Beamter des Britischen Empire, begibt sich im Mai 1888 an Bord eines Segelschiffs, um in Britisch-Westafrika eine neue Stelle anzutreten. Doch infolge einer Meuterei werden er und seine schwangere Frau an einem Küstenstreifen ausgesetzt: fernab jeder Zivilisation, am Rande eines riesigen Urwalds. Bedroht von wilden Tieren, baut Lord Greystoke für seine zukünftige Familie eine Hütte. Aber seine Frau stirbt kurz nach der Geburt ihres Sohnes und wenig später ereilt auch ihn der Tod und der Säugling bleibt schutzlos zurück.
Die Affenfrau Kala entdeckt das Menschenkind, nimmt sich seiner an und nennt ihn Tarzan («Weiße Haut»). Tarzan wächst bei den Affen auf, wird deren «Anführer»“, und bringt sich selbst lesen und schreiben bei, was von Nutzen ist, als er im Dschungel eines Tages zufällig auf Jane, die Tochter eines Wissenschaftlers trifft. Die beiden verlieben sich ineinander und Tarzan, halb Wilder, halb Gentleman, muss sich zwischen einem Leben im Dschungel oder der Zivilisation entscheiden.
Kommentar
Als Edgar Rice Burroughs seinen Urwaldhelden 1912 das erste Mal auftreten ließ, damals als Fortsetzungsgeschichte im Pulp-Magazins All-Story Magazine, erst 1914 dann als eigenständiger Roman, war nicht abzusehen dass mit dem Affenmenschen eine Legende geboren war. Vor allem eine Hollywood-Legende. Zwar folgte die erste Verfilmung bereits 1918, aber ins kollektiven Gedächtnis brannten sich wohl die weichgespülten Inkarnationen durch Johnny Weissmüller und Lex Barker, 1999 dann sogar eine Disney-Adaption. Mit Burroughs Pulp-Helden haben diese Zelluloidversionen allerdings nur wenig gemein. Denn der Herr des Urwalds geht in der Romanvorlage ordentlich zur Sache – blutige Jagden auf Raubtiere, brutale Rangordnungskämpfe in seinem Affenstamm, reihenweises Abmurksen eines Kannibalenstammes – das alles ist fern vom netten Urwaldidyll mit Schimpanse Cheeta, der im Roman nicht existiert. Tarzan ist ein Wilder, der unglaubliche Kraft mit massig Intelligenz und aristokratischer Abstammung vereint. Er lebt für die Jagd und die Herausforderung, unbefleckt von der verweichlichten Zivilisation. Mit seinem reinen Urwaldleben trägt er eine Portion Zivilisationskritik in sich. Die Menschen sind gezeichnet von Habgier und Neid, unfähig als Individuum außerhalb ihrer behüteten Städte zu existieren. Nicht so Tarzan, der sich – nachdem er sich mal eben nur mit Hilfe einiger Bilderbüchern Lesen und Schreiben beigebracht hat und später locker Französisch und Englisch lernt – mühelos in beiden Welten bewegen kann und der zivilisierten durch Stärke, Geschick und Instinkt haushoch überlegen ist. Was ihm dabei jedoch völlig fehlt, ist Empathie. Zwar kann er instinktiv andere einschätzen, nicht jedoch ihre emotionalen Beweggründe verstehen. Auch seine Liebe zu Jane baut nicht auf gegenseitigem Verstehen, sondern auf Besitzanspruch und animalischer Anziehungskraft. Selbst in seinem letztendlichen Verzicht wird diese Kluft des Empfindens nicht überwunden.
Auch hundert Jahre später ist bietet Tarzan ein ungetrübtes Lesevergnügen, vor allem in der gewohnt stimmigen Aufmachung der Ausgabe von Walde + Graf. Vielleicht ist der Bann des Urwalds auch gerade in Zeiten von Dauerbeschallung durch Internet & TV, Globalisierung und Kommerzialisierung ein willkommener Gegenentwurf – back to the roots.
Fakten
Tarzan bei den Affen
Originaltitel: Tarzan of the Apes, 1912
Edgar Rice Burroughs
Zu bekommen
