Was wäre das schnöde Leben ohne ein bisschen Würze? Für den verheirateten George Stroud, Herausgeber des Boulevardmagazins Crimeways, sind es Alkohol, Frauen und Bilder. Reihenfolge beliebig. In einer einsamen Stunde lässt er sich mit der Geliebten seines Chefs, des Zeitungsmoguls Erle Janoth, ein, die kurz nachdem er sie zu ihrer Wohnung begleitet hat, mausetot ist. Brutal erschlagen. Und es war sein Chef, den Stroud zuletzt mit ihr gesehen hat. Und Janoth ihn? Scheinbar nicht, denn bald darauf wird George für einen Spezialjob ausgesucht: er soll einen geheimnisvollen Fremden ausfindig machen, der mit einer atemberaubenden Blondine auf Tour war und im Verdacht steht, an einer groß angelegten Verschwörung beteiligt zu sein. So muss Stroud mit seinem Team aus Redakteuren Jagd auf sich selbst machen.
Die große Maschinerie beginnt sich in Bewegung zu setzen, unnachgiebig. George kann nur Sand ins Getriebe streuen, um Zeit zu gewinnen. Er muss selbst Beweise finden, dass sein Chef der Mörder ist, während er die Nachforschungen mit aller Macht behindern und vertuschen muss. Doch seine Zeit läuft ab.
Kommentar
Was wäre noiresker als ein Unschuldiger, der Jagd auf sich selbst machen muss? Eine klassische Noir-Situation für einen Protagonisten, der ohne ein Verbrechen begangen zu haben, gnadenlos in ein unnachgiebiges Mahlwerk gezogen wird, an dessen Ende sein Untergang steht. Und dabei ist Stroud, ein Säufer und Ehebrecher, nicht mal ein nettes Unschuldslamm. Aber die anderen sind noch schlimmer, in diesem Fall sein Chef und dessen Handlanger. Wie entgeht man seiner dunklen Zukunft, wenn man selbst ein Rädchen im Getriebe ist, das einem die Knochen und schließlich das Genick bricht? Man streut Sand hinein und manipuliert die Hebelchen mit der einen und sucht verzweifelt nach Spuren mit der anderen Hand. Wenn man will, kann man in Fearings Roman einen Anklang seines Tuns als Linker, Pazifist und Dichter finden: eine Kritik an der Bedeutungslosigkeit des (kreativen) Einzelnen in einem Großunternehmen, an der Gnadenlosigkeit und Unaufhaltsamkeit einer bürokratischen Maschinerie, an der kapitalistischen Kaltschnäuzigkeit eines Steve Hagen oder Earle Janoth (Was ist schon die Existenz eines unschuldigen Einzelnen im Vergleich zu der einer ganzen Firmenbelegschaft?).
Die erste Filmadaption aus dem Jahr 1948 The Big Clock wurde unter anderem von Jonathan Latimer für die Leinwand adaptiert. Mit Rücksicht auf den Production Code oder Studio-Vorgaben, wurde dabei aus dem großmäuligen, trinkfesten Ehebrecher Stroud ein glatter Familienvater (dargestellt von Ray Milland) und aus der Story um einen Mann im Getriebe eines gewaltigen Firmenkonglomerats, ein Wettlauf mit der Zeit zwischen Film noir und Comedy. 1987 wurde der Stoff noch einmal als No Way Out verfilmt (dieses Mal mit Kevin Kostner und Gene Hackman).
Notiz
Martin Compart brachte zusammen mit dem Elsinor Verlag die deutsche Übersetzung heraus. Natürlich steuerte er auch wie gewohnt ein Nachwort bei.
Fakten
Die große Uhr
Originaltitel: The Big Clock, 1946
Kenneth Fearing
Zu bekommen
Natürlich direkt beim Elsinor Verlag.
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