Henry St. Clair Whitehead (1882 – 1932) war Verfasser von Gruselgeschichten, in die er Impressionen und Erlebnisse seiner Zeit als Erzdikan der Jungfraueninseln einfließen ließ. Zudem wurde er ein Freund von Horrorschriftsteller H.P. Lovecraft, der an einigen seiner Geschichten mitarbeitete (The Trap, Bothon). Ab 1924 veröffentliche Whitehead in einschlägigen Magazinen wir Weird Tales, Strange Tales und Adventure.
Seine Geschichten bewegen sich inhaltlich zwischen viktorianischem Grusel und Weird Fiction – klassische Geistergeschichten, Voodoo oder Reinkarnation sind einige der Motive, die immer wieder auftauchen. Etliche Erzählungen werden von seinem Alter ego, dem ehrenwerten Gerald Canevin wiedergegeben, der zusammen mit dem Experten für Okkultes, Dr. Pelletier, etliche Abenteuer durchlebt.
Zu den interessantesten Geschichten gehören sicherlich seine Erzählungen Bothon, Scar -Tissue und The People of Pan um Wiedergeburt und den Untergang Atlantis. Die Gruselgeschichte The Trap um einen magischen Spiegel und einen bösen Zauberer (merklich von Lovecraft beeinflusst). The Ravel Pavane um Musik, frühere Leben und die wahre Liebe oder der seltsame The Great Circle um eine alte Gottheit und eine kosmische Reise.
Eine Besonderheit stellt Williamson dar, der Bericht über die Herkunft eines sympathischen, aber seltsamen Mitmenschen, die ob ihrer Auflösung damals von Herausgebern abgelehnt wurde. Obwohl schon frühzeitig klar wird, welches Geheimnis besagten Williamson umgibt, versteht Whitehead es, die viktorianische Erzählung mit einer zunehmenden Spannung aufzuladen.
The Chadbourne Episode hingegen erinnert stark an eine von Lovecrafts von Xenophobie aufgeladene Geschichte um Einwanderer mit einem makaberen Familiengeheimnis, die eine ziemlich blutige und rabiate Klärung erfährt.
Cassius, in der einer von Canevins Angestellten von einem geheimnisvollen, kleinen Monster attackiert wird, liest sich wie eine Adaption von Lovecrafts Brown Jenkins, platziert im Voodoo-Glauben, aber mit einem wissenschaftlichen Dreh. Die Erzählung könntedann später der Akte X-Folge Humbug als Inspirationsquelle gedient haben. Die beiden Geschichten Black Tancrède und The Shadows hingegen verlagern sich wieder stark auf die Magie des Voodoo.
Neben Canevine, der zumeist als Erzähler fungiert, tauchen über die Geschichten verteilt immer wieder bekannte Figuren auf, die die Stadt St. Thomas und die Insel mit Leben und Historie erfüllen. Die Familien dänischer und schottischer Einwanderer, ihre Angestellten oder der berüchtigte Pirat Fawcett und seine Mannschaft.
Whiteheads Annäherung an die Voodoo-Religion bleibt dabei trotz der damaligen Zeit, überraschend sachlich und wenig bewertend. Gelegentlich stellt er dem rituellen Treiben zwar christliche Stärke entgegen, aber im Grunde belässt der den Voodoo in dessen Kulturkreis – denn nach Whiteheads Ansicht wirkt die Magie des Voodoo nur an jenen, die auch fest im Glauben daran verankert sind. Aber auch christliche Protagonisten können an einigen Stellen dann doch den mystischen Schrecken nicht leugnen (so zum Beispiel in besagtem The Shadows).
Erzählungen
West India Night
- The Black Terror
- West India Lights
- Williamson
- The Shut Room
- The Left Eye
- Tea Leaves
- The Trap
- The Napier Limousine
- The Ravel Pavane
- Sea Change
- The People of Pan
- The Chadbourne Episode
- Scar Tissue
- ‘—In Case of Disaster Only’
- Bothon
- The Great Circle
- Obi in the Caribbean
Jumbee and other Voodoo Tales
- Jumbee
- Cassius
- Black Tancrède
- The Shadows
- The Tree-Man
- Passing of a God
- Hill Drums
The Black Beast and other Voodoo Tales
- The Black Beast
- Seven Turns In A Hangman’s Rope
- Mrs. Lorriquer
- The Projection Of Armand Dubois
- The Lips
- The Fireplace
Other Stories
- The Moon Dial
- No Eye-Witnesses
- Across the Gulf
- The Tabernacle
- The Door
- Sea-Tiger
Kommentar
Whitehead ist kein Schöpfer kosmischer Grauen, wie es Zeitgenosse Lovecraft war. Vielmehr berichtet er in seinen Erzählungen oft von Eindrücken und Erfahrungen aus seiner Zeit auf den Jungfraueninseln. Das ergibt eine lesenswerte Reise durch Geistergeschichten, Atlantis-Mythologie und Voodoo-Erzählungen. Zumeist gruselig, manchmal nahe am Horror.
Fakten
Voodoo Tales: The Ghost Stories of Henry S. Whitehead
Originaltitel: Voodoo Tales: The Ghost Stories of Henry S. Whitehead, 1924 – 1946
Henry S. Whitehead