Der Boxer Davy Gordon (Jamie Smith) sitzt in seinem schäbigen Zimmer und erwartet das Go für einen letzten großen Kampf. In seiner Einsamkeit gleicht er einem Tiger im Käfig, fernab der Farm seiner Familie, gestrandet in einer kalten, herzlosen Stadt – New York. Ein Blick aus dem Fenster, ins warme Licht des ebenso heruntergekommenen Nachbargebäudes, in das Zimmer der Tänzerin Gloria (Irene Kane). Zwei isolierte Seelen in einem Stadtmoloch. Davys großer Kampf schickt ihn endgültig zu Boden, zerstört den letzten Rest seiner Karriere, während Gloria als Animierdame im drittklassigen Tanzpalast des Gangsters Vincent Rapallo (Frank Silvera) arbeitet. Und der hat in seiner eigenen Einsamkeit eine Manie für die blonde Frau entwickelt. Als Davy und Gloria sich schließlich ineinander verlieben und gemeinsam fortgehen wollen, rastet Vincent aus und entführt das Mädchen. Der Boxer muss noch einmal zu einem Kampf antreten – einem Kampf auf Leben und Tod.
Kommentar
Mit einem merklich minimalistischen Budget trat Kubrick hier zu seinem zweiten Film an – einem der kürzesten Noirs der klassischen Periode. Und trotz des LowBudgets einem kleinen Meisterwerk. Neben der Regie verdiente Kubrick sich als Drehbuchautor, Produzent, Cutter und Kameramann. Zudem verbrachte er etliche Monate damit, den Sound abzumischen, ehe der Film fertig war. Killer’s Kiss kostete etwa $75.000 in der Produktion. Eigenständig produziert von Kubrick, der ihn nach Fertigstellung an United Artists verkaufte. Seine zweite Ehefrau, Ruth Sobotka, spielte übrigens die Ballerina in einer Rückblende. Aus einer simplen Story schuf er dabei durch filmische und erzähltechnische Mittel einen Film noir erster Güte: kalte Schwarzweiß-Aufnahmen, eine abstoßende, heruntergekommene Stadt, tragische Charaktere und eine verschachtelte Handlungsabfolge aus diversen Rückblenden und Off-Erzählungen.
Erzählt wird nicht so sehr eine Kriminalgeschichte, sondern eine um die Isolation dreier Figuren in einer bedrückenden Großstadt. Schon von Beginn an werden Davy und Gloria in ihrer Einsamkeit eingefangen – hilfloses Treibholz inmitten des Lebensstroms. Ihre vagen Hoffnungen verlieren sich auf den staubigen Brettern eines Boxrings oder in der Halle eines miesen Tanzpalastes – dessen stoische Besucher mit ihren leeren Blicken erinnern deprimierend an Horace McCoys Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss. Dazu der manische Vincent, der in seiner unerträglichen Art versucht, Gloria an sich zu binden und eine Katastrophe heraufbeschwört.
Im Finale schließlich treten die beiden Kontrahenten zu einem tödlichen Duell an – einem unbarmherzigen Gladiatorenkampf in einer überfüllten Fabrik für Schaufensterpuppen. Kein schneller Schusswechsel, kein glorreicher Sieg – ein barbarischer Gewaltakt unter leblosen Puppenaugen und Plastikgliedmaßen, der sich lange hinzieht, ehe das blutige Spiel entschieden ist.
Fakten
Deutscher Titel: Der Tiger von New York
Alternative Titel & Arbeitstitel: Kiss Me, Kill Me
Studio: United Artists
Regisseur: Stanley Kubrick
Darsteller: Frank Silvera, Jamie Smith, Irene Kane
Drehbuch: Stanley Kubrick
Musik: Gerald Fried
Basierend auf: –