Als Privatdetektiv Philip Marlowe (Elliott Gould) seinen alten Freund Terry Lennox (Jim Bouton) mitten in der Nacht zur mexikanischen Grenze fährt, ahnt er nicht, dass er bald darauf in die Mühlen der Polizei gerät – denn Lennox soll seine Frau umgebracht haben. Der plötzliche Selbstmord seines Freundes scheint diese Vermutung noch zu unterstützen. Als allerdings ein paar üble Gangster auftauchen, muss selbst Marlowe eingestehen, dass mit Terry irgendetwas nicht ganz koscher war. Zeitgleich macht er sich für die hübsche Eileen Ward (Nina van Pallandt) auf die Suche nach deren Mann, einem trunksüchtigen Schriftsteller (Sterling Hayden). Der wiederum sitzt im Sanatorium des seltsamen Dr. Verringer. Marlowe hat bald alle Hände voll zu tun, Lüge und Wahrheit zu entwirren.
Kommentar
“I think Marlowe’s dead. I think that was the long goodbye.” (Robert Altman in Naremore, More than Night). Der klassische Marlowe, wie er in Chandlers Romanen Gestalt annahm, war wirklich tot, als Altman 1973 zusammen mit der Autorin Leigh Brackett seine Variante des Langen Abschieds herausbrachte. Vielleicht nicht tot im physischen, sondern nur mehr ein Geist im moralischen Sinne. Der Film beginnt damit, das Marlowe aus einem tiefen Schlaf erwacht – eine Art Dornröschenkoma, das ihn und seine ritterlichen Ideale in eine Welt schickte, die fernab von allen Dingen lag, mit denen der klassische Marlowe a la Bogart seinen Weg ging. Dieser moderne Marlowe ist kein Held mehr, kein unbeugsamer Fels inmitten einer heruntergekommen Stadt. Er schimpft sich zwar noch Privatdetektiv, aber weder kann er ein solches Image vermitteln, noch durch passende Fähigkeiten brillieren. Er ist eine ziellose, hilflose Figur inmitten einer Umgebung, die ihn weder richtig wahrnimmt (seine kiffenden Nachbarinnen), noch respektiert (die Polizisten und Gangster) und für voll nimmt (für Eileen kommt er nicht einmal als Sexualpartner in Frage, sein Freund Lennox lacht über ihn).
Und Marlowe selbst ist unfähig, die Zusammenhänge zu erkennen, sein detektivischer Spürsinn ist verkümmert, die Ereignisse lösen sich beinahe ohne sein Zutun auf. Die scharfe Wahrnehmung des PI ist getrübt: Marlowe beobachtet etliche Ereignisse durch Glasscheiben, unfähig, sie korrekt zu deuten. Er wird zu einem Spielball, wird herumgeschupst und manipuliert, ohne dabei auch nur nennenswerten Widerstand zu leisten. Sein Stolz kann in den Schmutz getreten, seine Wohnung verwüstet, vor seinen Augen Unrecht getan werden – Marlowe hat gerade mal einen flotten Spruch auf den Lippen (den zumeist niemand komisch findet). Als die Geliebte des Gangsters Marty Augustin von diesem (vor Marlowes Augen) misshandelt wird, quittiert der Detektiv es mit mäßigem Entsetzen. Hätte der Bogart-Marlowe noch mit seiner unumstößlichen Moralität den Verbrechern die Stirn gezeigt (und sich damit deren Respekt erkämpft), bleibt diese moderne Detektivvariante bitter unbeteiligt.
Die Ereignisse gipfeln schließlich im (für Chandler-Fans) provokanten und kontroversen Ende, in der Marlowe selbst zeigt, dass es die alte Ritterlichkeit nicht mehr gibt.
Die größten Irritationen in Der Tod kennt keine Wiederkehr rühren allerdings nicht nur von Marlowes Unfähigkeit her, sondern vor allem durch die Welt, in der er erwacht. Altman schuf ein kleines Universum, in dem durch Kameraführung, Licht- und Bildkompositionen beständige Unschärfe und Unruhe vorherrscht, die sich durch zwei wesentliche Aspekte in sämtlichen Figuren um den Protagonisten herum krönen: ein jeder ist korrupt und/oder verrückt. Es gibt keine, wirklich keine Figur in dieser Umwelt, die nicht einen der beiden Punkte ihr Eigen nennt. Angefangen bei seiner verwöhnten Katze und den abgedrehten Nachbarinnen, über den Verkäufer im Supermarkt (den er später im Knast wieder trifft), die miesen Bullen und durchgeknallten Gangster, den Imitationen vorführenden Nachtwächter, die Angestellten und Insassen des Sanatoriums und schließlich die anderen Hauptcharaktere Eileen, Roger und Terry. Niemand ist normal, alle sind sie in irgendeiner Form seltsam, korrupt und unberechenbar. Keine noch so unbedeutende Nebenfigur ist da eine Ausnahme (sogar der vollkommen bandagierte Patient im Krankenhaus und seine Krankenschwester). Wie soll sich da ein Philip Marlowe der alten Schule überhaupt orientieren? Sein Spürsinn ist zurecht verkümmert, hat in diesem deprimierenden und verunsicherndem Umfeld keine Chance, sich zu entwickeln. Dazu gesellt sich, dass sinnvolle Kommunikation, ein Austausch von Informationen oder simple Antworten auf Fragen, kaum Bestand haben. Die Figuren reden aneinander vorbei, verlieren sich in ihren Worten im Grotesken (so im Polizeiverhör).
Unterstrichen wird dieser beinahe surreale Wahn noch durch die allgegenwärtige Titelmusik – das Lied The Long Goodbye, das nicht nur untermalt, sondern immer wieder aktiv auftaucht – gesungen und geträllert von einzelnen Figuren, im Radio oder gar als Trauermarsch in einem mexikanischen Nest.
Wenn Marlowe im Finale schließlich dem Drahtzieher der ganzen Geschichte gegenübersteht, kapituliert er durch seine Tat schließlich. Der einzige Ausweg, der dem anachronistischen Detektiv bleibt. Seine Moral, sein Job, seine Ideale – sie alle sind in diesem Chaos bedeutungslos. Er selbst hat nur eine Chance aus diesem Traum zu erwachen – in dem er selbst Teil davon wird.
Und ja, einer der Gangster im Gespann von Marty Augustine ist Arnold Schwarzenegger.
Dies & Das
- Altman/Bracketts The Long Goodbye ist nicht nur ein genialer Neo-Noir, sondern auch ein Hort skurriler und ironischer Kommentare.
- Marlowes Lieblingssatz (zumeist leise vor sich hingenuschelt): “It’s OK with me.” Komme, was da will.
- Kommunikationsprobleme bei der Suche nach seiner Katze …
- Marlowe: “Girls, did you see my cat?”
- Mädchen 1: “I didn’t know you had a cat.”
- Mädchen 2: “Did you say you wanted a hat?”
- Marlowe: “No, no, you don’t look fat.”
- Als sich Augustines Gangster mit Marlowe zusammen entkleiden sollen, bemerkt der Ganove Harry in Erinnerung an Scarface: “George Raft never took his clothes of.”
- Marlowe nach seinem Autounfall zu einem Vollbandagierten im Bett nebenan: “You’re gonna be okay. I’ve seen all your pictures, too.” (Eine Reminiszenz an Bogart in Dark Passage? Der Kerl sieht aber auch etwas aus wie Der Unsichtbare.)
- Mrs. Tookbury, die Marklerin des Ward-Anwesens, hält Marlowe bei dessen Erscheinen irrtümlich für “Mr. Katz” – sehr passend für jemanden, dem seine Katze weggelaufen ist.
- Und schließlich das finale Gespräche zwischen Terry und Marlowe …
- Terry: “What the hell? Nobody cares.”
- Marlowe: “Yeah. Nobody cares but me.”
- Terry: “That’s you, Marlowe. You’ll never learn. You’re a born loser.”
- Marlowe: “Yeah. I even lost my cat.”
- Der Film beginnt mit den ersten Takten aus “Hooray for Hollywood” und endet auch mit diesem.
- Die Melodie von “The Long Goodbye” zieht sich wie ein roter Faden durch den Film:
- … als Hintergrundmusik
- … aus diversen Radios
- … im Supermarkt
- … als Klingelton der Türglocke bei den Wards
- … geträllert von Marlowe und anderen
- … geübt vom Pianisten in Marlowes Kneipe
- … beim Totenmarsch in Mexiko
Fakten
Deutscher Titel: Der Tod kennt keine Wiederkehr
Alternative Titel & Arbeitstitel: –
Studio: Lion’s Gate
Regisseur: Robert Altman
Darsteller: Elliot Gould, Sterling Hayden, Nina von Pallandt, Mark Rydell, Henry Gibson
Drehbuch: Leigh Brackett
Musik: John T. Williams
Basierend auf: Raymond Chandlers Der lange Abschied