Die Chemie muss stimmen – und die Moral?
Es ist ein weiter Weg nach unten, aber Privatdetektiv Philip Strasser hat schon einen Großteil der Strecke hinter sich gebracht. Seinen Ruf und seine Ehe sind ruiniert, um über die Runden zu kommen spioniert er für das Pharmaunternehmen Protagen Mitarbeiter aus. Dabei schiebt er moralische Bedenken zur Seite, Skrupel sind nur was für Leute, die es sich leisten können. Als die Sekretärin Nina Berger sich in einer laufenden Ermittlung an ihn wendet, ist Strasser nicht gerade begeistert. Hegt sie doch den Verdacht, dass der Forschungsleiter Einbecker ein Stalker ist, der sie im Visier hat. Philip kanzelt sie kurzerhand ab. Denn besagter Einbecker ist ein alter Bekannter, dem er lieber nicht noch einmal begegnen möchte. Doch als die Berger einige Tage später tot aufgefunden wird, hängt Strasser unversehens tiefer in der ganzen Angelegenheit, als ihm lieb sein kann. Und mit jeder Frage, die er stellt, verstrickt er sich weiter in einem lebensgefährlichen Geflecht aus Lügen und Intrigen. Was verbirgt die Chefetage der Pharamfirma? Was hat es mit dem geheimnisvollen Wirkstoff Amortisol auf sich? Wem kann Strasser noch trauen? Und vor allem: wann holt ihn seine eigene Vergangenheit ein, um ihm endgültig das Genick zu brechen?
Kommentar
Die Vergangenheit ist ein bodenloses Loch, an dessen Abgrund man wandelt.
So zumindest offenbart sich die Vergangenheit des heruntergekommenen Privatdetektivs Philip Strasser. Stück für Stück öffnet sich ein gähnender Abgrund. Die einzigen Brücken, die er darüber gebaut hat, sind fragile Lügen, die unter jedem seiner Schritte zusammenzubrechen drohen. Da sind seine ruinierte Ehe mit Hannah und die durchwachsene Beziehung zu seiner Tochter, mit denen er im Alltagsleben hadert. Und da sind seine Jobideale, die seit seinem Start als Kaufhausdetektiv stetig den Bach runter gegangen und nun an einem Endpunkt angelangt sind. Vor allem aber sind da all die Halbwahrheiten und Lügen, die Strasser erzählt hat. Und die er mittlerweile selbst glaubt. Unschwer zu erkennen, dass ihm diese nach und nach um die Ohren fliegen, als er sich eigenmächtig in die Angelegenheiten seines Auftraggebers einmischt. Denn Philip ist bei weitem nicht der Einzige, der Dreck am Stecken hat.
Den klassischen Noir-Niedergang seine Protagonisten bettet Tobias Radloff in einen verschachtelten Biotech-Thriller ein, in dem es sich sowohl für Strasser als auch für die anderen Figuren um Moral und wissenschaftlicher Fortschritt dreht. Nur das der gestrauchelte Privatschnüffler ganz und gar nicht derjenige zu sein scheint, der auch nur ansatzweise moralisch standhafte Entscheidungen zu treffen vermag. Das zu beweisen, bemüht sich Strasser einen Großteil des Romans und schrapt mit seinen Lügen und unreflektierten Handlungen nicht selten knapp an der Grenze des Erträglichen vorbei. Doch gerade wenn man “Was für ein Arschloch” auf den Lippen hat, kriegt er gerade noch die Kurve und offenbart, dass er selbst auch nur eine gequälte Seele ist.
Ob Strasser das Potential hat, ein Serienheld zu werden, muss sich zeigen. Tobias Radloff hatte Amoralisch über Crowdfunding finanziert, ehe die Taschenbuchausgabe im Divan-Verlag erschien. Hier erzählt er etwas über die Entstehung des Romans.
Fakten
Amoralisch
Originaltitel: Amoralisch, 2015
Tobias Radloff