Der König in Gelb
(The King in Yellow, 1938)
Hoteldetektiv Steve Grayce erwartet einen Abend wie viele andere – eine ruhige Nacht im Carlton Hotel. Doch im achten Stock hat sich der Trompeter King Leopardi eingemietet und veranstaltet eine spontane Jam Session. Als dort auch nach gutem Zureden keine Ruhe einkehren will, muss Steve ein kleinwenig handgreiflich werden und den genialen Musiker vor die Tür setzen. Später findet er in dessen Zimmer einen zerrissenen Zettel, auf dem eine Erpresserbotschaft steht. Vielleicht haben die beiden Mädchen aus dem Nachbarraum etwas damit zu tun? Ehe er noch viel in Erfahrung bringen kann, wird Steve entlassen. Leopardi hat ein paar mächtige Freunde. Doch so schnell gibt Grayce nicht auf. Er beginnt im Trüben zu fischen und zieht bald die erste Leiche an Land. Und dann auch noch die reiche und schöne Sängerin Dolores Chiozza, der er kurz darauf aus einer ziemlichen Klemme helfen muss: eine weitere Leiche liegt in ihrem Schlafzimmer.
Kommentar
Chandler mit einer klassischen Pulp-Geschichte um einen zähen Detektiv, der keine Ruhe gibt, bis die Wahrheit ans Licht kommt, ein paar harten Verbrecher, schönen Frauen und eine Reihe Morde, zusammengeschnürt zu einer verstrickten Kriminalgeschichte um Rache, Schuld und Sühne.
Schüsse bei Cyrano
(Guns at Cyrano’s, 1936)
Der reiche Müßiggänger Ted Carmady, dessen verstorbener Vater einst über beachtlichen Einfluss in der Stadt verfügte, begegnet der hübschen Tänzerin Jean Adrian, kurz nachdem diese von einem Mann in ihrem Hotelzimmer niedergeschlagen wurde. Widerwillig gesteht sie Carmady, dass man ihren Freund, den Boxer Duke Targo, zwingen will, seinen nächsten Kampf zu verlieren. Notfalls auch, indem man das hübsche Mädchen bedroht. Kurzerhand sieht sich Ted zusammen mit seinem Vertrauten Tony den Boxkampf an und tatsächlich sieht es anfangs so aus, als würde Targo die Bretter küssen. Doch dann setzt der kurzerhand seinen Gegner außer Gefecht. Carmady bietet seine Hilfe an, Duke aus dem Schlamassel zu helfen, doch der Boxer und sein Bodyguard, der ölige Shenvair, lassen ihn abblitzen. Etwas später. im Nobelclub Cyrano’s, kommt es zu einer Schießerei mit tödlichem Ausgang. Targo erledigt in Notwehr den Mann, der schon seine Freundin bedroht hat. Doch Carmady wird misstrauisch, denn die ganze Sache ist viel komplizierte, als sie den Anschein hat: es geht um Erpressung im großen Stil und um kaltblütigen Mord.
Kommentar
Eine feine Kurzgeschichte mit einem komplexen Plot um falsche Spuren, tödliche Verwicklungen und einen amibivalenten Protagonisten, dessen Beweggründe, seine Nase in gefährliche Angelegenheiten zu stecken und seinen Kopf für andere hinzuhalten, beinahe schon tragisch sind.
Spanisches Blut
(Spanish Blood, 1935)
Der einflussreiche Geschäftsmann Donegan Maar wird erschossen aufgefunden. Scheinbar hat er ein Treffen mit Unterstaatsanwalt Imlay nicht überlebt, den er mit schmutzigen Fotos erpressen wollte. So sitzt die Leiche des gepflegten Maar in seinem Bürostuhl, eine Pistole in der Hand und ein Loch in der Brust. Und Polizist Sam Delaguerra von der Mordkommission bleibt kaum genügend Zeit, sich näher mit dem Fall zu befassen, denn beinahe augenblicklich wird er abberufen. Pech, dass er früher einmal ein ziemlich guter Freund vom halbseidenen Donegan gewesen ist … und von dessen hübscher Frau Belle. Denn es ist Wahlzeit in der Stadt und ein paar schwere Jungs wollen ihren Einfluss auf deren Ausgang nehmen. Doch so leicht wirft Delaguerra die Flinte nicht ins Korn, auch wenn er sich mit seinen Vorgesetzten dabei übernehmen muss. Als er zum Ferienhaus der Maars am Puma Lake fährt, beginnt das Wespennest aufgeregt zu summen, in das er gegriffen hat.
Kommentar
Chandler packt die Geschichte um Freundschaft, Loyalität und unerfüllte Liebe in ein perfektes Rahmengerüst aus politischen Verwicklungen, Gangstertum, Mord und Totschlag, an deren Ende ein klassischer Noir-Protagonist steht, der einen hohen Preis für seine Ideale von Freundschaft zahlt.
Blutiger Wind
(Red Wind, 1938)
Anmerkung: In der Übersetzung des Diogenes-Bandes (1976) wird Johnny Dalmas als Detektiv aktiv, wie im Original. 1950 stellte Chandler diverse Kurzgeschichten für einen Reader zusammen und änderte bei einigen davon den Namen des Protagonisten, in diesem Fall zu Philip Marlowe.
There was a desert wind blowing that night. It was one of those hot dry Santa Anas that come down through the mountain passes and curl your hair and make your nerves jump and your skin itch. On nights like that every booze party ends in a fight. Meek little wives feel the edge of the carving knife and study their husband’s necks. Anything can happen. You can even get a full glass of beer at a cocktail lounge.
Ein heißer Wüstenwind hält die Stadt im Würgegriff, einer jener trockenen Santa Anas, die die Menschen verrückt werden lassen. Marlowe will nur ein Bier trinken, als in der Bar ein Mann auf der Suche nach einer Frau erschossen wird. Der Täter entkommt, dafür rückt die Polizei mit dem übellaunigen Inspektor Copernik an. Marlowe schmeckt ihm nicht. Kaum fertig mit seiner Zeugenaussage, läuft Marlowe die hübsche Lola über den Weg. Genau die Dame, die der Ermordete suchte. Und auch sie hat eine Kanone. Doch just als der Killer wieder auftaucht, um lästige Zeugen zu beseitigen, rettet sie Marlowe das Leben. Der erweist sich als sehr dankbar und setzt alle Hebel in Bewegung, die junge Frau aus einer misslichen Situation zu befreien. Sie wird erpresst.
Kommentar
Der Stoff, aus dem der Mythos Marlowe gemacht ist. Eine verworrene kleine Geschichte um Erpressung und Mord, Menschen, die sind wie sie sind – zumeist verdorben und habgierig, voller kleiner und großer Lügen. Und mittendrin der unermüdliche Privatdetektiv, nie korrupt, mit seinem eigenen Ehrgefühl, dass er trotz aller Widerstände spazieren trägt. In diesem Pfuhl der menschlichen Niedertracht, in dem es nur ein paar verlorene Gutmenschen gibt, wirkt er selbst unmenschlich, wie ein Individuum aus einer anderen Zeit oder einem anderen Ort. Es ist keine schillernde Rüstung mehr, die er trägt, kein Schwert an der Seite, sondern Anzug und Pistole. Aber die Burgen sind geblieben und die Leute darin, nur sind es jetzt Villen. Und davor lauern dieselben alten Wegelagerer.
Zierfische
(Goldfish, 1936)
Die abgebrannte Ex-Polizisten Kathy Horne kommt mit einer Seifenblase zu Marlowe: bei ihr wohnt der Kokser Mardo, der im Knast den Juwelendieb Wally Sype kennen gelernt hat. Bei einem Saufgelage erfuhr er von Sype, dass dieser die sagenhaften Leander-Perlen noch immer irgendwo versteckt hat. Die sind lockere $250.000 wert. Kathy bietet Marlowe, die Belohnung von der Versicherung zu teilen, wenn es ihm gelingt, die Perlen wiederzubeschaffen. Klingt nach einer ganzen Menge Geld, nur dass der Perlendiebstahl schon zwanzig Jahre her ist und niemand auch nur eine Spur von Wally Sype hat. Trotzdem macht sich Marlowe auf, ein ernstes Wörtchen mit Mardo zu reden. Doch der schweigt lieber, da er die Folter mit dem Bügeleisen nicht überstanden hat. Scheinbar gibt es noch andere, die scharf auf die Perlen sind. Und die haben keinerlei Skrupel, wie sie diese bekommen.
Kommentar
Die Welt ist voller Verlierer und Verbrecher – sie sammeln sich um die Chance auf schnelles Geld wie Schweißfliegen um einen Haufen Scheiße. Die Leander-Perlen sind so eine Chance und sie bringe das Schlechteste in allen zum Vorschein, die ihnen hinterher jagen. Nur Marlowe trägt seinen Reines-Gewissen-Anzug, an dem jedwede kriminelle Energie abprallt wie Kugeln. Und so watet er durch den kleinen Sumpf aus Lüge, Folter und Mord, in dessen tiefster Senke zwei unscheinbare kleine Perlen liegen.
Fakten
Der König in Gelb
Kurzgeschichten
Raymond Chandler