Berlin und London Mitte der 1960er Jahre, zur Zeit des Kalten Krieges und der Pop-Revolution. Alexander Eberlin, Oxford-Absolvent, ist ein Mann mit Stil: elegant, schlank, Mitte dreißig und exzentrisch. Er sammelt seltenes Porzellan und Bücher. Ein einsamer Wolf, aber auch ein wahrer Dandy und Mann von Welt. Dieser mondäne Gentleman arbeitet seit langem für den britischen Geheimdienst, wo man ihn als geschickten und zuverlässigen Agenten schätzt. Was dort niemand auch nur zu ahnen wagt, ist Eberlins Doppelleben. Denn in Wirklichkeit arbeitet er unter dem Namen Krasnevin auch für die Russen. Er ist aber nicht nur ein simpler Maulwurf Moskaus, sondern ein gefährlicher Killer, der britische Agenten beseitigt.
Eines Tages erhält er vom britischen Geheimdienst einen Auftrag, den nur einer ihrer besten Leute erfüllen kann: „Reisen Sie nach Berlin, finden und töten Sie den sowjetischen Top-Agenten Krasnevin!“
Damit beginnt ein dramatisches Katz- und Mausspiel, bei dem Eberlin plötzlich zwischen alle Fronten gerät. Kann er seinen Häschern entgehen?
Kommentar
Nach den Clubland heroes der Buchan-Ära, inkarniert in der Elite des Britischen Empires, kamen die Spezialisten a la Bond, die bürokratiegesteuerten Arbeitstiere. Das Heldenhandwerk bestand nun nicht mehr darin, Kriminellen und Verschwörern die Pläne zu vermiesen, sondern sich in einem Schattenkrieg der Geheimagenten zu beweisen. Geheimdienste und ihre Maschinerie auf allen Seiten, der neue Topspion im Einsatz ohne Fragen zu stellen. Loyal, arbeitsam, physisch. Gefangen in einem Netz aus Spionage und Gegenspionage, aus Manipulation, Verrat und Mord. In diese Blütephase der Agententhriller pflanzte Derek Marlowe nun ein stilvolles Unkraut in Gestalt des Alexander Eberlin. Keinen unbestechlichen Saubermann im Stil eines James Bond. Nein – einen exzentrischen Dandy, latent unsympathisch, seltsam blutleer und ohne nennenswerte Bindung zu irgendwas. Abgesehen zu seinem Auto vielleicht noch. Eberlin ist nicht nur einer der gefragtesten Spione des Königreichs, sondern auch noch ein russischer Doppelagent. Geschickt ins britische Administrationssystem gesät, um dort Wurzeln zu schlagen und zu einer Blume des Bösen zu gedeihen. Zu einem gnadenlosen Killer.
Derek Marlowe schlug der Erwartung an einen Agententhriller 1966 mit Ein Dandy in Aspik heftig ins Genick. Literarische Sensation über Nacht. Romanverfilmung zwei Jahre später. Etliche weitere Romane. Dazu Arbeiten für das Fernsehen. An den gewaltigen Erfolg von Dandy konnte er nie wirklich anschließen. Denn mit seinem Roman um Alexander Eberlin schuf Marlowe einen Klassiker und eine Pflichtlektüre des Spionageromans. Als einer der ersten servierte er dem Leser einen russischen Agenten als Protagonisten, einen wenig sympathischen Antihelden. Warf ihn in ein Geflecht aus Lug und Betrug, aus Manipulation, gnadenloser Bürokratiemaschinerie und Lebensgefahr. Ohnehin schon genügend Stoff für einen Thriller. Aber Ein Dandy in Aspik hat noch etwas anderes, eine schwelende, schwer zu greifende Atmosphäre. Einen beinahe hypnotischen Sog. Wie ein (Alp)Traum. Eberlin driftet durch die Geschichte – ein Mann zwischen zwei Identitäten, zwischen zwei Geheimdiensten, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, der auch noch in eine zerrissene Stadt geschickt wird. Fast ist es, als wäre der Roman selbst Eberlins Mindscreen. Nicht das strukturierte Vorgehen eines Profikillers und Topagenten. Stattdessen fächert sich die Erzählung aus ihm selbst auf. Erratisch, emotional distanziert, immer wieder unfokussiert. Er selbst, aber auch jede der Nebenfiguren, driften immer wieder ab, verlieren sich in Träumen / Erinnerungen / Gedanken. Konversationen zu folgen ist oft schwierig und manchmal müßig. Sie verästeln sich, laufen ins Leere. Wie die kleinen Handlungen der Nebenfiguren. Wie Eberlins Gedanken und Taten. Wie die Ereignisse, bis hin zum Finale. Die kulturelle Revolution der Swinging Sixities, der Umbruch zur Moderne in Musik und Mode, der Drogenkonsum, die sexuelle Befreiung – für einen alten Dandy wie Eberlin, einen, der in seiner (russischen) Vergangenheit verhaftet ist, eine Phase, in der Orientierung schwer fallen muss. Kein Wunder, dass er fort muss / will. Und keinen Plan hat. Keinen Fokus.
Im Schattenkrieg der Geheimagenten gibt es eben keine Helden.
Notiz
Ein weiterer Klassiker des Spionageromans. Erschienen im Elsinor Verlag, herausgegeben von Martin Compart, der wie gewohnt, diesmal zusammen mit Dr. Rolf Giesen, auch das Nachwort beisteuert.
Fakten
Ein Dandy in Aspik
Originaltitel: A Dandy in Aspic, 1966
Derek Marlowe
Zu bekommen
Natürlich direkt beim Elsinor Verlag.
Ein Kommentar