1994 war ein verdammt gutes Jahr für alternative Musik. Die Beastie Boys veröffentlichten Ill Communications, Soundgarden Superunknown, Green Day Dookie, Stone Temple Pilots Purple, Blur Parklife und Portishead ihr legendäres Debüt Dummy. Schwer zu sagen, ob letzteres mit seinem Film noir-TripHop, oder Nine Inch Nails The Downward Spiral härter in meinen Musikgeschmack und meine Hörgewohnheiten gegrätscht hat. Beide Alben haben auf jeden Fall tiefe Spuren hinterlassen.
Trent Reznors Konzeptalbum The Downward Spiral war für mich musikalisch eine Offenbarung mit dem Presslufthammer. Die Grundtöne hatte bereits David Bowie gelegt, dem ich seit früher Kindheit treu bin (als Kind faszinierte mich damals der Boxer auf der Let’s Dance LP), der ja wiederum starken Einfluss auf Reznors Werk hatte. Wie wunderbar sich da der Kreis schloss, als Bowie mit NIN Konzerte gab und beide einen Song zusammen aufnahmen (I’m Afraid of Americans). Als Spiral 1994 veröffentlicht wurde, hatte ich von NIN noch nie was gehört. Internet war auch noch nicht. Blieb noch das Radio. Abends im Auto. Warten. 1Live. Nach 20 Uhr lief da akzeptable Musik. Je tiefer die Nacht, desto besser. Und dann spielten sie Closer. Das klang an. 5 Minuten, um sich festzusetzen. Eher Glück, dass ich den Bandnamen aufschnappte. Nine Inch Nails. Okay, klang gut. Vielleicht die Tage mal zum Saturn nach Köln. Oder bei Freunden fragen, ob jemand damit was anfangen konnte.
Beim Bund einen Tag später gab es tatsächlich einen, der den Namen kannte – sein Bruder hörte das wohl. Also Kassette mitgegeben. Einen Tag später kam die bespielte MC zurück. Wie schön, dass man direkt beim Langstreckenlauf den Walkman spielen lassen konnte. Später dann im Auto auf der Heimfahrt. Pretty Hate Machine – das Debüt von NIN. Weitaus zugänglicher, Synthi-geprägt, immer wieder durchbrochen von Industrialeinflüssen. Schade nur, dass die CD bei der Aufnahme einen Kratzer hatte und ich gerade mal die ersten drei Lieder auf Band hatte. Keine Ahnung, wie oft ich das immer und immer wieder zurückgespult habe, bis ich mir endlich das komplette Album kaufen konnte. Das war ein paar Tage später im Kölner Saturn. Wo man mühsam in Katalogen blätterte, um sich in all den Regalen zurechtzufinden, und dann aus einer endlosen Reihe seine CDs zu fischen. Von NIN gab es nur den neusten Release – die The Downward Spiral. Aber hey, die drei Tracks aus dem Vorgänger hatten mich angefixt, Closer hatte im Radio cool geklungen – da konnte ich mit einem Kauf nix falsch machen.
Well… Daheim dann mal direkt in die Stereoanlage. Pretty Hate Machine-Erwartungshaltung im Anschlag.
Und dann ballert sich das Intro von Mr. Self Destruct durch die Lautsprecher. Brutaler Lärm, Geschrei. Irgendwas rollte über mich drüber. Holy s***!
Ich habe das Album auf halber Strecke ausgemacht, unsicher, was ich da gerade gehört hatte. Sicher, dass ich das nicht weiter hören würde. Fehlkauf. Hörschock.
Aber Head Like a Hole, Terrible Lie und Down in It hatten doch diesen catchy Unterton. Diesen Anflug von Pop und Tanzbarkeit und Rhythmus neben all den Industrialverästelungen. Und in Closer war das auch zu hören. Da lag es tiefer verflochten, schmiegte sich in die verstörenden und entfremdeden Elemente – in das Wummer, Krachen, Wüten, Wispern, Schreien. Blieb hängen. Frass sich fest. In Gefühl und Seele.
Einen Versuch noch, nochmal reinhören. Vielleicht einzelne Lieder, die nicht ganz so brachial waren. Closer, March of the Pigs, I do not want this. Laufen lassen. Jemals Doom 2 auf dem ersten eigenen PC gespielt und The Downward Spiral in Dauerschleife als Hintergrundmusik laufen lassen? Das passt (aber Reznor hat ja später auch den Soundtrack zu Quake beigesteuert). Autofahrten sehr früh morgens oder spät Abends durch den Wald. NIN in Dauerschleife. All die musikalischen Schichten durchdringen, die Verzahnung von Text, Melodie und Sound.
Damit legten NIN den Weg für weitere Musikerfahrung, gerade aus dem weiteren Industrialbereich. Die wunderbaren, aber vergessenen God lives Underwater, der gnadenlos underated Dream City Filmclub, das Debütalbum von Stabbing Westward, …
Das alles hat sich so sehr eingefräst – auch dreißig Jahre später schlägt The Downward Spiral noch sofort an.
Und eine kleine Liste meiner 3 Songfavoriten darf natürlich auch nicht fehlen:
Closer – natürlich. Damit fing es an. Eins der wenigen NIN-Lieder, die regelmäßig in der Gothic-Disco liefen. Geiles Video, aber noch geilerer Song.
Reptile – im Original ein absoluter Soundwahnsinn. Im Dunkel liegen, Fenster weit auf und die Kälte rein lassen, auf die ersten Klänge warten…
Zugegeben, Hurt liegt beinahe gleich auf mit The Becoming. Aber letzteres hat eine so unfassbare coole Soundkulisse. Gepaart mit Reznors Gesang. The me that you know…