Dédé ist Schleusenarbeiter. Der intelligente junge Mann hat eine reiche Tochter geheiratet, trotzdem lässt er die Plackerei am Fluss über sich ergehen. Er mag die Menschen dort, den Zusammenhalt unter den Schleusern.
Als in einer nebelgrauen Nacht der Kapitän der Hématite tot in der Schleuse treibt, gerät die Ordnung in diesem kleinen Mikrokosmos ins Wanken. Streit und Schlägereien stehen unter den Männern auf der Tagesordnung, aber ein Mord? Die Polizei verdächtigt den Schleusenchef Coutre. Doch als Dédé seinem Vorgesetzten helfen will und sich in die Geschichte einmischt, wird er selbst hinabgerissen in einen Strudel aus Korruption und Gewalt.
Kommentar
Die Welt des Schleusenarbeiters Dédé ist ein Gefüge aus Falschheit, Korruption und Gewalt, zusammengehalten von gesellschaftlichem Zwang, Routine und dem Wissen, dass die Menschen um ihn herum nicht besser und nicht schlechter sind, als er selbst. Eine in sich gute, ehrenwerte Figur sucht man vergeblich – ein jeder hat seine kleinen und großen Abgründe und Geheimnisse. Da ist die Beziehung zu seiner Frau, die trotz seiner Liebe (oder gerade deswegen) die Hölle auf Erden ist. Dann das herablassende, besessene Verhalten der Familie, in die er eingeheiratet hat. Oder die dunklen Machenschaften der Oberen im Schleusenviertel. Selbst Dédés beste Freunde sind gezeichnet von Missgunst und Lüge. Das alles kulminiert in zwei nebelschweren Nächten, in denen sich die Schlechtigkeit in Gewalt und Mord entlädt und den Protagonisten geradewegs in einen Fieberalptraum stürzt, der stellenweise das Grauen eines Lovecraft-Romans erreicht.
Wer nun erwartet, sich in einem klassischen Krimi zu bewegen, wird zwangsläufig enttäuscht. Denn Amila schert sich einen Dreck um Konventionen und auch recht wenig um die Erwartungshaltung des Lesers. Vielmehr spiegelt er – ganz zeitlos – die Welt, wie sie zu oft ist. Die Verbrechen aus Korruption und Gewalt, ja selbst Mord, werden verschleiert und ein Status Quo des Zusammenlebens erzwungen: Du beißt mich nicht, dafür beiße ich dich nicht. Auch hier, wie schon in Mitleid mit den Ratten, ist der Titel des Romans ungemein passend. Denn Motus! Bedeutet soviel wie Pst! – als Hinweis, das jemand zu einer Sache schweigen soll. Und verschwiegen wird hier sehr viel – ein ganz menschliches Verhalten. Empfand man in den Ratten jedoch wirklich ein seltsames Mitleid mit den Protagonisten, so ist es in Motus! ein tiefer Widerwille, denn das Gefüge ist noch ungemein härter und dichter. Fast ist es, als würde man den Nebel und Geruch des Flusses spüren und mit ihm die Last des Lebens, die sich auf die Bewohner gelegt hat. Die dennoch weitermachen. Oder gerade deswegen – denn viel mehr als ihr Leben bleibt ihnen am Ende nicht. Wenn überhaupt.
Fakten
Motus!
Originaltitel: Motus!, 1953
Jean Amila
Zu bekommen
