Tour de France – 17. Etappe – ein Fahrer setzt sich überraschend vom Feld ab. Sein Name: Lilian Fauger aus Dünkirchen, Debütant im Team WOR. Damit wird er zum Gejagten, ist der Außenseiter auf der Flucht vor allen. Während er seinem Körper alles abverlangt, gelingt es ihm, den Vorsprung weiter auszubauen. Nur zwei Kontrahenten bleiben ihm auf den Fersen. Sein Teamkollege Fons und ein junger deutscher Fahrer namens Jan. Auf der Etappe beginnt ein dramatisches Taktieren am Rande des Zumutbaren. Der Schmerz wird zu Lilians ständigem Begleiter. Und seine Gedanken beginnen zu kreisen wie seine Pedale, schneller und schneller. Wird dies vielleicht seine Etappe? Sein hart erkämpfter Sieg? Kann er die Verfolger abschütteln? Wie geht er mit der Ansage von seinem Trainer um, seinen Teamkollegen vorbeizulassen? Wie hält er die Strapazen durch? Jede Umdrehung der Räder bringt ihn näher an den Etappensieg. Näher an eine wichtige Entscheidung. Näher an den Abgrund.
Kommentar
Anstieg, Abstieg. Ein Auf und Ab der Zeilenlänge. Die Steigung hinaufquälen, immer weiter, bis die Zeile nur ein Wort umfasst. Hinabjagen. Puls bis zum Anschlag. Durchatmen. Die Zeilen wieder länger. Normalzustand. Beinahe. Bis die nächste Anhöhe ansteht. Die nächste Anstrengung. Der nächste Sprint.
54 x 13 sind vier Stunden aus dem Innenleben eines Tour de France-Fahrers. Mit allem, was dazu gehört – Hoffnungen, Erinnerungen, Leidenschaft, Schmerz und Tragik. Jean-Bernard Pouy bringt diese Tortur aufs Papier. Packt sie in nicht mal achtzig Seiten. Reduziert, auf den Punkt. Mitreißend. Mitfiebernd. Stilistisch meisterhaft. Der Satz reduzierten. Die Kapitelüberschriften als Übersetzung* des Zustands unseres Protagonisten. Die sechs Wegmüller’schen Gebote als Rahmen der Etappe.
Das geht so schnell vorbei, als hätte man selbst die Abfahrt gemacht. Pouy, dessen Roman bereits aus dem Jahr 1996 stammt, weiß genau, wie er 54 x 13 effizient auf die Straße bekommt. Seinen Stil hat der Franzose in zahlreichen Romanen perfektioniert (H4Blues, Papas Kino, Pulp). Die Themen, die in dieser 17. Etappe durchgezogen werden, sind universell und zeitlos, Essenz des Roman noir – Leiden und Leidenschaft. Aufstieg und Fall.
Hier kann man vier gnadenlose Stunden der Tour erleben. Schonungslos und hart. 54 x 13 ist dabei selbst wie ein perfekt zusammengeschraubtes Rennrad.
* 54 x 13 beschreibt übrigens die Übersetzung eines Fahrrads. Die Anzahl der Zähne am vorderen Kettenrad im Verbund zum hinteren spiegeln die Steigung des Weges (je größer die erste und je kleiner die zweite Zahl, desto größer die Übersetzung) und die Tagesform des Fahrers wieder.
Fazit
Wer sich für den französischen Roman noir, die Tour de France oder beides zugleich begeistert, muss sofort auf diesen Sattel steigen.
54 x 13 ist im Hardcover im egoth Verlag erschienen, rasant übersetzt von Stefan Rodecurt.
Fakten
54 x 13
Die Tour de France nach Jean-Bernard Pouy
Originaltitel: 54 x 13, 1996
Jean-Bernard Pouy
Ein Kommentar