Mit seinem Beruf als Anwalt und Parlamentsabgeordneter hat der junge Londoner Edward Leithen schon früh seine Bestimmung gefunden. Alles läuft nach gewohnten Regeln ab, alles ist verlässlich, alles vertraut. Sitzungen im Parlament, Gerichtsverhandlungen, Routinearbeiten in seinem Büro. So wird es ewig weitergehen. Ein fein justiertes, zufriedens Rad im Getriebe des bürokratischen Apparates. Aufregung bieten vielleicht der Abend im Club oder ein gelegentlicher Jagdausflug.
Als jedoch eines Tages Pitt-Heron, ein entfernter Freund und Ehemann von Edwards Jugendliebe, überstürzt das Land verlässt, verhakt sich das Rad im Getriebe. Denn hinter dem geheimnisvollen Abgang scheint mehr zu stecken, als nur ein paar Schulden. Während sich ein weiterer Freund der beiden auf Pitt-Herons Spur bis nach Buchara begibt, fängt Leithan an, einzelne Puzzlestücke in London zusammenzusetzen und eine ungeheuerliche Entdeckung zu machen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, in dem es mehr und mehr ums nackte Überleben geht. Denn im Hintergrund lauert ein mächtiger Gegner, der alles daransetzen wird, sein Geheimnis zu bewahren.
Kommentar
Die Formel der Verschwörungsgeschichte hat sich spätestens seit den X-Files ins popkulturelle Hirn gebrannt. Schattenmänner, gesichtslose Agenten, unklare Ziele, ein ewiger und fragwürdiger Kampf der Wahrheit gegen Lüge, Verschleierung und Manipulation. Noch etwas davor hat uns Ian Flemings Bond in seinem Kampf gegen SPECTRE (Special Executive for Counterintelligence, Terrorism, Revenge) regelmäßig in eine Welt der großen Verschwörungen mitgerissen. Aber bereits 1913 als Fortsetzungsroman und dann 1916 in gebundener Form veröffentlicht, legte John Buchan mit Der Übermensch (The Power-House) die literarische Grundlage für Spionageromane mit undurchschaubaren Gegnern. Daher liest sich die nun im ELSINOR Verlag neu aufgelegte und von Martin Compart überarbeitete und mit einem gewohnt mächtigen Nachwort versehene Ausgabe seltsam vertraut. Buchan spielt mit der zeitlosen Angst vor Dingen, die man nicht kontrollieren kann. Dunkle Mächte im Hintergrund, die unser Schicksal beeinflussen. Brillante Eliten, die sich außerhalb gesellschaftlicher Norm bewegen und den Regelbetrieb unterminieren und über scheinbar unbegrenzte Macht und Mittel verfügen. Ein wenig wie Conan Doyles Moriarty, nur dass in einem Buchan-Universum kein ebenbürtiger Superdetektiv dagegen steht, sondern eben ein britischer Bürokrat. Buchan legt damit eine Formel, die so problemlos auch nach über hundert Jahren noch funktioniert und Der Übermensch sogar deutlich stärker in der Jetztzeit verankert. Denn den Kampf des Einzelnen gegen elitäre Verschwörer mit obskuren Zielen hat man seit Trump und später Corona oft genug medienträchtig nachverfolgen können. Insofern schwingt beim Lesen etwas Melancholie mit, Verschwörungserzählungen haben in den letzten Jahren einen ziemlichen Tiefflug hingelegt. The Lone Gunmen und der Cigarette Smoking Man weinen leise vor sich hin.
Fazit
Der Übermensch mag etwas kurz und kein Action-Kracher sein, ist aber, trotz seines Alters, eine durchaus spannende Lektüre. Und wenn man das Gefühl hat, den Ablauf der Story schon zu kennen, liegt es wohl eher daran, dass andere Buchans Grundgerüst tausendfach adaptiert haben. Von daher ein spionageromangeschichtliches Schmankerl.
Links
Auszug aus Martin Comparts Nachwort
Fakten
Der Übermensch
Originaltitel: The Power-House, 1916
John Buchan
Zu bekommen
Natürlich in jeder Buchhandlung in deiner Nähe. Oder direkt im Shop des Verlags Elsinor.
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