In der französischen Provinzstadt St. Robin taucht ein Brief auf, unterschrieben vom Raben, der den zugezogenen Arzt Dr. Germain (Pierre Fresnay) des Ehebruchs und der illegalen Abtreibung denunziert. Für die Einwohner des Kaffs erst einmal kein Grund zur Sorge, sondern vielmehr eine willkommene Abwechslung, über die sie sich das Maul zerreißen können. Für Germain beginnt damit jedoch eine Zerreißprobe zwischen seiner dunklen Vergangenheit und zwei Frauen – der hübschen, aber eigenwilligen Denise (Ginette Leclerc) und der Gattin des örtlichen Seelenarztes Laura (Micheline Francey). Während er sich für eine der beiden entscheiden muss, schlägt der Rabe wieder zu. St. Robin wird mit einem Mal von einer wahren Flutwelle verleumderischer Briefe überrollt. Niemand ist vor den Anschuldigungen gefeit und der anonyme Schreiber scheint dabei jedes noch so kleine Geheimnis zu kennen. Das beschauliche Städtchen verwandelt sich abrupt in einen Ort des Misstrauens und der Paranoia. Als die Briefe schließlich ein erstes Todesopfer fordern, entscheidet sich Dr. Germain, sich seiner Vergangenheit zu stellen und gleichzeitig den Täter zu überführen.
Kommentar
Der Rabe, entstanden in den Jahren der deutschen Besatzung, zeichnet ein bedrückendes Bild aus Misstrauen und Denunziation in einer scheinbar heilen Provinzidylle. Schnell offenbart sich, dass jede Schicht von Verfehlungen durchdrungen ist – nicht nur die lokale Politik oder die Krankenhausverwaltung, sondern jeder Einzelne bis hin zu den Kindern. Große und kleine menschliche Geheimnisse mit denen eine Gemeinschaft normalerweise auskommt. Bis jemand beginnt, den Finger in die Wunde zu legen und aus ignorierten oder nur geahnten Dingen ganz konkrete Anklagen zu erstellen – in der Form anonymer Briefe. Damit wechselt die idyllische Atmosphäre in kurzer Zeit zu einem Klima des Misstrauens und der Angst, die schließlich sogar in einem Lynchmob kulminiert. Clouzot macht es dem Zuschauer schwierig, wirklich Sympathie für eine der Hauptfiguren zu entwickeln. Zum einen, weil sie alle fehlbar sind, zum anderen, weil jede von ihnen bis zum Schluss als möglicher Täter in Frage kommt. Eingefangen wird das Ganze von Großteils ruhigen Kameraeinstellungen, die die Charaktere oftmals alleine und isoliert darstellt.
Produziert wurde Der Rabe von der deutschen Continental, die den Film zu antifranzöischer Propaganda nutzte, wobei er damals nie in den deutschen Verleih kam. Für Clouzot und Teile seiner Crew folgte daraus ein Arbeitsverbot nach Kriegsende, Hauptdarsteller Fresnay musste sogar für einige Wochen in Haft. Frankreich sah sich wohl als Land des Widerstands, nicht eines der Denunziation.
Nachdem das Arbeitsverbot gegen den Regisseur nach zwei Jahren wieder aufgehoben und der Film erneut aufgeführt wurde, war Der Rabe in Frankreich doch noch ein großer Erfolg.
Fazit
Stimmiges Kriminaldrama mit etlichen Stilmitteln, wie sie auch im amerikanischen Film noir zu finden sind.
Fakten
Le Corbeau (1943)
Deutscher Titel: Der Rabe
Alternative Titel & Arbeitstitel: –
Studio: Continental Film
Regisseur: Henri-Georges Clouzot
Darsteller: Pierre Fresnay, Ginette Leclerc, Micheline Francey
Drehbuch: Louis Chavance, Henri-Georges Clouzot
Musik: Tony Aubin
Basierend auf: –