In einem schäbigen Hotelzimmer liegt ein Toter – eine Kugel im Kopf, ein Schachbrett daneben und alle Anzeichen suggerieren, dass er ziemlich high war, als man ihn hingerichtet hat. Für Detektiv Meyer Landsman, der ebenfalls in der Absteige residiert, nicht unbedingt ein Sonderfall. Nur einer von einem Dutzend offener Akten, die er innerhalb von zwei Wochen bereinigen muss. Irgendwie, egal mit welchem Schuldigen. Denn dann soll der Distrikt Sitka, Alaska, an die Vereinigten Staaten zurückfallen. Und die Juden, die hier in mehr als sechzig Jahren eine florierende Metropole aufgebaut haben, müssen einen weiteren Exodus antreten. Damit ist der Tote nur eine von vielen Unannehmlichkeiten, mit denen sich Landsman herumschlagen muss – dauernder Alkoholkonsum, eine kaputte Ehe und seine Perspektivlosigkeit. Die Ermittlungen sind stoische Routine, bis von oben die Weisung ergeht, den Fall zu den Akten zu legen. In Meyer erwacht noch einmal so etwas wie Kampfgeist. Religiöse Eiferer, machtgierige Politiker und die jüdische Mafia könnten ihm dabei ins Gehege kommen, aber bei Licht betrachtet, hat er nichts mehr zu verlieren…
Kommentar
Was wäre wenn … der Staat Israel 1948 gescheitert, die jüdische Bevölkerung stattdessen eine neue Heimat in Sitka, Alaska, gefunden und dort sechzig Jahr lang eine jüdische Metropole aufgebaut hätte? Eine Stadt durchdrungen von Religion und jiddischer Sprache, vom nördlichen Klima und dem schwelenden Konflikt mit den restlichen Einwohnern Alaskas? Und was wäre, wenn diese Zuflucht im Jahr 2008 aufgehoben und Sitka wieder an Alaska zurückfallen würde?
Chabon kreiert eine alternative Realität, in der er seinen hartgesottenen Protagonisten die letzten jüdischen Tage Sitkas miterleben lässt. Ein Ort alter Tradition und großer Umbrüche, deren Einwohner einer ungewissen Zukunft entgegen blicken. Mittendrin Landsman, der allen Glauben verloren hat, vor allem den an sich selbst.
Dabei gibt es viel zu erzählen, um diese Fiktion plastisch erscheinen zu lassen. Das feine Geflecht aus Moderne und jüdischen Gepflogenheiten, die Unruhe der Einwohner. Wer, wenn nicht ein sturköpfiger Bulle im Fahrtwasser eines Chandler-Helden, könnte besser durch dieses Vielschichtigkeit irren? Immer auf der Suche nach sich selbst und der Wahrheit. Egal ob die miesesten Slums, überfüllte Vororte, der Polizeiapparat, der jüdische Klüngel, religiöse Fanatiker oder die perfekt organisierte Mafia – Meyer streift sie alle.
Ehe die Geschichte dann wirklich in Fahrt kommt, braucht es somit seine Zeit. Da hätte Chabon seinem Helden ruhig ein persönliches Problem weniger mit auf den Weg geben können. Ohne seine Exfrau wäre The Yiddish Policemen’s Union sicherlich nicht schlechter geworden.
Alles in allem eine unterhaltsame und durchaus reizvolle Variante des hard-boiled Detektives, die sich sehr für eine Fortsetzung anbietet. Ganz zu schweigen von einer Verfilmung, an der bereits die Coen-Brüder arbeiten.
Fakten
Die Vereinigung jiddischer Polizisten
Originaltitel: The Yiddish Policemen’s Union, 2007
Michael Chabron