Mit The Steal liefert Rachel Shteir, Verfasserin zweier Bücher über Striptease und die Stripperin Gypsy Lee Rose, eine Studie zum Phänomen Ladendiebstahl ab. So soll sich der Schaden durch solche Diebstähle in den USA allein 2009 auf ca. 11.7 Milliarden Dollar belaufen haben. Damit Grund genug, in die Historie des Ladendiebstahls einzusteigen – ausgehend von der Verstädterung Londons und dem damit einhergehenden Konsumismus, über das Paris des 19. Jahrhunderts mit seinen Kaufhäusern und dem Auftauchen des Begriffs Kleptomanie, hinein in die 60er Jahre und dem Ladendiebstahl als Synonym für Widerstand gegen das Establishment (Abbie Hoffmans Steal This Book), bis hin zur Jetztzeit, und der Frage, ob Ladendiebstahl eine Reaktion auf den Konsumwahn sein könnte.
Zudem beleuchtet Shteir, wie schwierig es den Experten fällt, Gründe für Ladendiebstahl festzulegen, und wie unklar ein Vorgehen gegen das Phänomen ist. Hochtechnisierte Sicherheitsmaßnahmen, strenge Strafen oder therapeutische Behandlung – Ladendiebstahl scheint dennoch allgegenwärtig und unaufhaltsam.
Kommentar
Leicht und verständlich geschriebenes Fachbuch zum Thema Ladendiebstahl. Shteir, deren Texte u.a. in der New York Times, Los Angeles Times und im Guardian veröffentlicht wurden, fächert die materielle und die soziologische Entwicklung dieser speziellen Form des Diebstahls auf. Erst mit der Industrialisierung, der damit einhergehenden Verstädterung und letztendlich des Aufstiegs des modernen Konsumverhaltens, bekam der Ladendiebstahl eine Allgegenwart.
Shteir bietet dabei einige interessante Einblicke in die verschiedenen Definitionen von Ladendiebstahl, in die Charakterisierung von Ladendieben, psychologischen Heilungsversuchen und in die Arbeit der Sicherheitsexperten auf der Gegenseite.
Ladendiebstahl als Verbrechen (Booster), Krankheit (Kleptomanie), als Sucht oder auch als künstlerisch-politische Aktivität. Medizinische, psychologische und sicherheitstechnische Maßnahmen zur Bekämpfung des Ladendiebstahls. Schließlich das Phänomen berühmter Ladendiebe (Winona Ryder) und ihrer Bestrafung im Vergleich zu „normalen“ Tätern. Die Frage nach einer Demographie des Ladendiebstahls, in den Staaten nicht selten gekoppelt an die Behandlung und Vorverurteilung afroamerikanischer Käufer oder Einwanderer. Der Blick auf die Bemühungen seitens der Ladenketten, das Problem in den Griff zu bekommen – mit immer größerem technischen Aufwand, mit einer Heerschar von Ladendetektiven und deren Ausbildung (Shteir zeigt mehrere Fälle auf, in denen ein Ladendieb bei seiner Festnahme durch Kaufhausdetektive ums Leben kamen). Schließlich eine Analyse bestehender Behandlungsmethoden, um Ladendiebe wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, in der Shteir zu ernüchternden Ergebnissen kommt. Einer Fülle von Ansätzen zur Behandlung steht einer ebensolchen Fülle von Faktoren für einen möglichen Ladendiebstahl gegenüber. Egal ob Selbsthilfegruppen, therapeutische Behandlungen, New Age-Wege – die Geschichte eines Ladendiebes bleibt immer eine sehr persönliche Geschichte, voller schwer zu betrachtender Faktoren.
Schwerpunkt des Buches liegt natürlich auf den Vereinigten Staaten, aber gelegentlich schaut die Studie auch nach Europa. Nach England, mit seiner höchsten Dichte an Überwachungskameras und der dennoch ungebrochenen Zunahme von Ladendiebstählen, oder nach Barcelona als Stadt des anarchistischen Ladendiebstahls.
Fazit
Eine interessante, lesenswerte Studie über ein oftmals nur schwer greifbares Phänomen. Und die Aktivitäten von politisch und künstlerisch motivierten Ladendieben sind durchaus amüsant.
Fakten
The Steal: A Cultural History of Shoplifting
Originaltitel: The Steal: A Cultural History of Shoplifting, 2011
Rachel Shteir
Ladendiebstahl