Autobiographie des Gangsterbosses Charlie Richardson, der zusammen mit seinem Bruder Eddie, das London der 60er unsicher machte. Ihr “Manor” umfasste Schrottplätze im Süden der Stadt bis hin zu Bars im West End, während sich seine Betrugsgeschäfte bis nach Afrika ausweiteten. Berüchtigt wurde die Bande um die Richardson-Brüder zum einen für ihren Zwist mit den Kray-Zwillingen, zum anderen wegen ihrer grausamen Foltermethoden im Umgang mit Konkurrenten (laut Richardson nur angewandt auf andere Kriminelle), was ihnen den Namen Torture Gang einbrachte. Charlies Geschäfte fokussierten sich neben Diebstahl und Schutzgelderpressung vor allem auf so genannte “Long Firm”-Schwindel, in denen mit Scheinfirmen und nicht bezahlten Lieferungen immense Gewinne eingefahren wurden.
Mit ihrer Verurteilung für Betrug, Erpressung und Folter (Schläge, fragwürdige Zahnbehandlungen, Einsatz von Elektroschocks) brach die Bande auseinander und Charlie wurde zu 25 Jahren verknackt. 1980 gelang ihm die Flucht, auf der er beinahe ein Jahr lang umherwanderte (Saufgelage mit alten Freunden, Auftritte als Santa Claus, Zeitungsinterview in Paris), eher er sich freiwillig stellte. Seine Haftstrafe endete 1984.
2004 drehte Malcom Needs den Film Charlie, basierend auf Richardsons Lebensgeschichte – der ehemalige Gangsterboss gab darin einen kurzen Cameo-Auftritt als “Mann in der Kneipe”.
Kommentar
Blame it on the system … Oder etwas in der Art. Richardsons Autobiographie ist ziemlich unterhaltend – Sarkasmus und coole Sprüche. Einblick in die wilden 60er in Londons Unterwelt – Erziehungsheime, Armee und Knast. Er klingt niemals wie ein knallharter Gangsterboss, dessen Bande grausame Folterungen vorgeworfen wurden. Eher wie ein Edelbetrüger, den das System zu seinen Untaten trieb. Reue oder kritische Auseinandersetzung mit seinem Leben sucht man vergeblich. Ein aufstrebender, ideenreicher Teenager, dessen sozialer Status ihm den legal Aufstieg nicht erlaubte. Also waren es Diebstähle, Bestechung und Betrug, die ihm den Weg zum großen Geld ebneten. Ein Gangboss, der seine Nachbarschaft sauber hielt und sich in bester Robin Hood-Tradition sah. Schließlich das Opfer eines verkommenen Rechtssystem, dessen Gerichtsverhandlung eine einzige, theatralische Farce war. Charlie, vielleicht ein bisschen rau, aber das Herz am rechten Fleck. Gewalt? Folterungen? Alles Medienmanipulation.
Fällt schwer, das zu glauben. Also sollte man sich der Richardson-Darstellung skeptisch annähern und ihn mit ebensolcher Faszination betrachten. Ein charismatischer, manipulierender Betrüger, dessen größtes Kapital es war, das Vertrauen seines Opfer zu erlangen. Das gelingt ihm hier schneller als einem lieb sein kann.
Fakten
My Manor
Originaltitel: My Manor, 1991
Charlie Richardson
Autobiographie, Gangster, England, Swining Sixties
Zu bekommen
