Der Bankier Nathan Smith wird eines Abends tot in seinem Bett aufgefunden. Von der Tatwaffe fehlt jede Spur und alles spricht dafür, dass seine junge Frau Mary den Finger am Abzug hatte. Dank Nathans Millionen kann sie sich an ein renommiertes Anwaltsbüro wenden. Doch selbst ihre Anwältin zweifelt an der Unschuld der blonden Witwe und engagiert den Privatdetektiv Spenser, um den Fall aufzuklären. Spenser hat zunächst keine heiße Spur, bis plötzlich eine Frau, die bei Nathan Smiths Bank entlassen wurde, tot aufgefunden wird. Er stößt bei seinen weiteren Ermittlungen auf ein bislang gut gehütetes Geheimnis in Marys Vergangenheit.
Kommentar
Auch wenn Parker offiziell in der Tradition Chandlers steht (er vervollständigte mit Erlaubnis von Chandlers Nachlassverwalter das Fragment Poodle Springs und schrieb mit Perchance to Dream eine Fortsetzung von The Big Sleep), ist ein Spenser kein Marlowe. In Parkers Roman findet man wenig vom Romancier Chandler: keine sanfte Melancholie, kein traumhaftes Kalifornien, keinen unverrückbaren Einzelgänger. Dafür knappe Beschreibungen, einen auf das Wesentliche reduzierter Schreibstil und dauerhafte Nebenfiguren – Susan Silverman und Freund Hawks. Das wirklich Einnehmende sind dabei die Dialoge – Parker ballert die Pointen nur so raus. Das ist kein Realismus wie bei Hammett, keine unterschwellige Subversion wie bei Chandler, sondern eine lakonische Achterbahnfahrt, die einen durch das Buch jagt.
“Rufen wir die Bullen?”, fragte Hawk.
“Müssen wir wohl.”
“Wir könnten die Tür zumachen und abhauen.”
“Sind deine Fingerabdrücke im Polizeicomputer?”, fragte ich.
“Klar”, sagte Hawk.
“Meine auch.”
“Also ruf sie an”, sagte Hawk.
Die Nebenfiguren sind es, die in Dialogen und Handlungen Spenser stärker in die Welt einbinden als seine Detektivkollegen – Hammetts namenloser Ermittler (Spenser tritt ohne Vornamen auf) hatte wenigstens noch seine Continentals Detective Agency. Wenn schon keine freundschaftlichen / emotionalen Kontakte, immerhin ein Strang, der ihn hält bzw. an dem er sich festhalten könnte. Der ist bei Marlowe schließlich komplett gekappt, Chandlers Held lebt ohne Nabelschnur und somit ohne wirkliche Bindung ans Leben. Eine verlorene Gestalt, mehr und mehr tragisch, für die es keinen Hoffnungsschimmer in einer verkommenen Welt gibt – Freunde, Liebschaften, sie bleiben blass und tendieren meist dazu, den Helden der Realität, für die er so verbissen kämpft, weiter zu entfremden.
So schlägt Parker mit seinem Spenser-Universum einen Bogen zurück – sein Protagonist ist zwar ebenfalls ein Einzelgänger, aber Liebe und Freundschaft verankern ihn wieder im Leben. Er hat etwas Greifbares, für das er eintreten kann.
Fakten
Die blonde Witwe
Originaltitel: Widow’s Walk, 2002
Robert B. Parker
Zu bekommen
