Harry Fabians (Richard Widmark) Träume saufen mit deprimierender Regelmäßigkeit in der Themse ab – jede seiner Ideen entpuppt sich als heiße Luft, als Tagtraum oder Wunschdenken. Seinen ganzen Elan steckt er in seine Luftschlösser, egal, ob das letzte sich gerade erst unter ihm aufgelöst hat. Mit der Begeisterung eines Kindes und dem Eifer eines Süchtigen beißt er sich fest. Selbst seine Freundin Mary (Gene Tierney) kann ihn nicht auf dem Boden halten – ihr Traum von einem Leben mit ihm ist ebenso utopisch wie Harrys Ideen. Und jeder in London weiß mittlerweile, das der kleine Gauner für nichts gut ist.
Als Fabian in einer Sporthalle dem alternden Ringer Gregorius und dessen Schützling Nikolas begegnet, wittert er erneut die große Chance. Ringkämpfe im klassischen Stil. Nur ist das Business bereits in der Hand eines Mannes – des skrupellosen Kristo (Herbert Lom), der auch gleichzeitig der Sohn von Gregorius ist.
Doch mit dem Vater auf seiner Seite, wagt Fabian den Schritt zum Promoter. Dazu braucht er jedoch Kohle, die er dem Nachtclubbesitzer Phil Nosseross (Francis L. Sullivan) aus den Rippen leiert. Der allerdings vermutet, dass Harry ein Verhältnis mit seiner Frau Helen (Googie Withers) hat. Deshalb manövriert er Fabian in eine aussichtlose Lage. Aber mit weiteren Lügen und Manipulationen kann Harry das Ruder vielleicht noch herumreißen …
Kommentar
Ausgezeichneter Film noir von Regisseur Jules Dassin, dessen Karriere in den 50ern unter keinem guten Stern stand – nicht lange danach sollte sein Name auf die Schwarze Liste gesetzt werden. Regierarbeit war ihm darauf etliche Jahre (zumindest in den USA und auch nur unter Mühen in Europa) nicht mehr möglich. Dassins Lebenssituation findet sicherlich Ausdruck im Stoff, den er verfilmte und in der Art und Weise, wie er das Material visualisierte. Night and the City und später Rififi (1955) sind dunkle, harte Geschichten, die keinen Platz für die Erfüllung von Träumen und Hoffnungen lassen. Am Ende wartet der Tod und das Zerplatzen aller Sehnsüchte. Die Figur des Harry Fabian verdient die Bezeichnung Ratte aus dem deutschen Titel zurecht – er lügt und manipuliert, setzt alles daran, seinen Kontrahenten immer eine Nasenlänge voraus zu sein. Liebe und Vertrauen spielen keine Rolle für ihn. Es geht um Geld und vor allem Anerkennung. Fabian ist besessen, beinahe wie ein Drogensüchtiger (als er die Wohnung seiner Freundin nach Geld durchsucht). Immer in Bewegung, schließlich nur noch auf der Flucht – vor seinen Häschern, aber vor allem vor der Konsequenz seines Handelns. Irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem auch keine Lüge, keine Manipulation mehr hilft. Widmark ist die Idealbesetzung für den kleinen Gauner – manisch, besessen, verrückt – wie auch schon in seiner Rolle als Tommy Udo in Kiss of Death (1947).
Aber – und hier spinnt Dassin, basierend auf der Romanvorlage von Gerald Kesh, einen wirklich noiresken Mikrokosmos – es sind nicht nur die Träume Fabians, die in der Gosse bzw. in der Themse landen. Jede andere Figur verliert oder hat bereits verloren. Ist Opfer von Lügen und Betrug und lügt und betrügt gleich selbst. Der hinterhältige Nachtclubbesitzer Phil, mit seiner Obsession für seine Frau Helen. Die ihren Gatten wiederum hasst und ihrem eigenen Traum nachsteigt. Beide scheitern. Harrys Freundin Mary opfert sich für eine Liebesbeziehung auf, die keine ist. Und dahinter sind noch weitere, gescheiterte Randfiguren, in deren Welt es nichts Erbauliches, nichts Schönes gibt. Es geht nur darum, zu überleben und ein bisschen Kohle übrig zu haben. Die Träume sind schon lange tot.
Es gibt zudem eine 92er Verfilmung unter gleichem Namen mit Robert De Niro und Jessica Lange.
Fakten
Deutscher Titel: Die Ratte von Soho
Alternative Titel & Arbeitstitel: –
Studio: 20th Century-Fox
Regisseur: Jules Dassin
Darsteller: Richard Widmark, Gene Tierney, Googie Withers
Drehbuch: Jo Eisinger
Musik: Franz Waxman
Basierend auf: Gerald Keshs Night and the City