Der Gangster Walker (Lee Marvin) wird bei einem Banküberfall niedergeschossen und von seinem Partner Resse (John Vernon) zurückgelassen. Doch er überlebt und erholt sich bei einem langem Aufenthalt in Alcatraz. Als ihm schließlich die Flucht gelingt, hat der alternde Gangster nur ein Ziel: Rache. Zum einen für den unterschlagenen Beuteanteil von $93.000, zum anderen für die Affäre, die Reese mit seiner Frau (Angie Dickinson) hat. Egal, ob die beiden ganz dick in einer Verbrecherorganisation drinhängen – Walker räumt auf. Knallhart und gründlich.
Schweigen ist Gold
Wie Protagonist Walker sollte man um diesen Streifen nicht viele Worte machen. Muss es dann aber doch tun. Denn Point Blank ist ein verdammt cooler Gangsterfilm.
Eiskalte Killer
Im selben Jahr erschienen wie Melvilles Le Samouraï, ebenso kalt, schweigsam und stylisch. Ebenso getragen von seinem Hauptdarsteller. In diesem Fall Lee Marvin, der drei Jahre vorher als Auftragsmörder Charlie in The Killers schon mal üben konnte.
Point Blank ist ein visuelles Meisterwerk, das die klassischen Noir-Elemente in satte Technicolor-Farben übernimmt. Schon in den ersten zwanzig Minuten des Films überlagern sich Voice-over und Rückblenden mit eindringlichen Bildkompositionen und ungewohnten Kameraperspektiven. Immer wieder lange Phasen des Schweigens, in denen Geräusche und Musik ihre Wirkung entfalten. So zum Beispiel Walkers Marsch zu seiner untreuen Ehefrau – der Killer in einem endlosen Korridor, seine Schritte losgelöst, ihr Klang geht in die Maniküre seiner Frau über. Mit jedem Schritt baut sich eine schier unerträgliche Spannung auf, die sich schließlich in Walkers brutalem Eindringen und dem Krachen seines Revolvers entlädt.
Mit gnadenloser Gradlinigkeit arbeitet sich Walker vorwärts und löscht nach und nach seine Kontrahenten aus. Dabei bringt er jedoch niemanden um – seine Zerstörungswut richtet sich immer gegen leblose Dinge (Bett, Auto, Telefon, etc.), während seine Opfer von anderen liquidiert werden oder sich selbst das Leben nehmen. Nur seine Motivation verliert sich immer mehr. Sobald es nicht um die bloße Rache geht, wird er teilnahmslos, beinahe wie ein lebender Toter. Selbst seine $93.000 sind nicht die Erfüllung seines Weges.
Alles nur ein Traum?
Denn Bormanns Werk ist, darauf deutet vieles hin, nur eine Farce – die Phantasie des sterbenden Gangsters, der sein Leben auf Alcatraz aushaucht und sich in seinen letzten Atemzügen Genugtuung verschafft. Was in Hitchcocks Vertigo nur eine Ansammlung irritierender Unstimmigkeiten ist, zeigt sich in Point Blank deutlich klarer. Walker selbst gibt mit einem VoiceOver den Ton an: Did it happen? / A dream? / A dream.
Tanz der toten Seelen
Was folgt, ist ein traumhafte Abfolge von Bildern und Klängen. Vieles davon erinnert an den LowBudget-Horrorfilm Carnival of Souls (1962). Der Einsatz der oft ruhigen, sphärischen Musik von Johnny Mandel. Die Bedeutung von Geräuschen (Schritte, Straßenlärm). Die Einsamkeit des Killers, der nirgends wirklich dazuzugehören scheint. Sein geheimnisvoller Informant Yost (Keenan Wynn), dessen unbewegliches Auftauchen vage an den unheimlichen Fremden erinnert, der Mary Henry heimsucht.
Zudem die Kommunikation zwischen Walker und seiner Umgebung, die immer wieder ins Leere zu laufen scheint. Nicht selten sind die Leute überrascht, ihn noch lebend zu sehen:
I’m glad you’re not dead. / It’s true. I really am.
You’re supposed to be dead.
You died at Alcatraz, all right.
Auch Mary Henry als wandelnde Tote redet an ihren Mitmenschen vorbei und wird phasenweise sogar überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Ähnlich unbemerkt scheint sich der Killer in Point Blank zu bewegen – wenn Walker sich in ein Gebäude begibt, um seinen ehemaligen Partner aufzusuchen.
Erscheinungen
Ausgehend von der Idee, dass Walkers Rachefeldzug nur der Traum eines Sterbenden ist, lassen sich etliche seiner Mit- und Gegenspieler als Füllmaterial für den Verlauf der Phantasie deuten. Ähnlich wie Midge in Hitchcocks Vertigo verschwinden Figuren im Nichts oder tauchen abrupt wieder auf.
Walkers Frau stirbt an einer Überdosis Tabletten – in einer Einstellung findet er ihre Leiche, in den folgenden ist ihr Bett leer, stattdessen sitzt dort ein weiße Katze (Symbol ihrer Seele?). Ihre Wohnung ist plötzlich vollkommen ausgeräumt und Walker sinkt in einer Zimmerecke zusammen, wie er es schon in der Zelle auf Alcatraz tat.
Sein mysteriöser Kontaktmann Yost, scheinbar ein Polizist, taucht immer wieder ohne Erklärung auf und gibt Walkers Feldzug eine neue Richtung.
Schließlich seine Schwägerin Chris, die ihm dazu dient, an seinen verhassten Expartner zu kommen und danach verschwindet, nur um zu einer späteren Szene noch einmal aufzutauchen. Ihr Auftritt in der Mafiavilla ist bezeichnend: Where’d you come from?
Motivation
Geht es Walker nur um sein Geld? Zwar klammert er sich an die Kohle und stellt sich für sie allen Widerständen entgegen, aber das Ende straft seine angebliche Motivation Lügen.
You threaten a financial structure like this for $93.000? / I don’t believe you. / What do you really want?
Also ist es Rache? Auch das ist fraglich, denn diejenigen, die ihn verraten haben, sind schon nach der Hälfte des Films tot. Und beides Mal war es nicht Walker, der den Hebel umgelegt hat, sondern Selbstmord.
So scheint es eher, als würde sich Walker an seinen Traum klammern, um in seinen letzten Atemzügen noch einen Sinn finden. Erst das Blutgeld, dann die Rache an der Organisation, die sich beharrlich weigert, ihn auszuzahlen. Als er am Ende jedoch am Ziel angelangt ist, zieht er sich stattdessen in die Dunkelheit zurück. Ein starkes Symbol für seinen endgültigen Abgang.
Kontrolle
Wenn Walker nicht gerade seiner Rache nachgehen kann, versinkt er in apathische Ruhe. Er sitzt nur da, regt sich kaum, Gespräche scheinen an ihm vorbei zu gehen. Selbst Chris’ Ausraster trifft einen lebenden Toten.
Und dann gibt es Momente, in denen er die Kontrolle über seinen Traum zu verlieren scheint. Wenn seinem Handeln die Richtung ausgeht, muss erst Yost auftauchen und eine neue Möglichkeit eröffnen.
Flashbacks, Überlappungen und Zeitlupeneffekte zersetzen die Konsistenz des Ablaufs. Nicht selten drängen sich dem Betrachter hypnotische Momente auf: die intensiven Farben der Badezusätze in der Wanne, die Lichter in der Disco The Movie House (auch hier steht Walker bereits in der Dunkelheit) . Als würde der Protagonist bereits fortgezogen.
Isolation & Namenlosigkeit
Ungewöhnliche Kamerawinkel, Betrachtungen durch optische Geräte und die ausgiebige Nutzung des Breitbildes, das alles isoliert den Protagonisten immer und immer wieder von seiner Umwelt. Es vermittelt dem Zuschauer ein Gefühl der Einsamkeit und des Verlorenseins, trennt ihn jedoch auch von der Figur des Killers (denn er ist ja bereits tot).
Der heißt einfach nur Walker. Sein Vorname wird niemals genannt. Walker im Sinne von Schlafwandler? Walker im Sinne eines Mannes, der seinen letzten Gang geht?
What’s my last name?
What’s my first name?
Das Nichtvorhandensein eines Vornamens löst Walker noch weiter aus der Welt heraus. Er gehört ihr nicht (mehr) vollständig an.
Raum & Zeit
Die Gangster überfallen die Geldboten. Walker wird niedergeschossen. Durch den Abspann hindurch rettet er sich schwer verletzt (und schwimmend!) von der Insel. Dann steht er mit Yost auf einem Touristenkutter und die Jagd kann beginnen. Wie viel Zeit ist zwischen seiner Verletzung und Genesung vergangen (von seiner Verletzung sind keinerlei Narben geblieben)? Wie kam der Kontakt zum Informanten zustande? Der Zuschauer erfährt es nicht. Wie in einem Traum spielt die Zeit eine untergeordnete Rolle. Sie ist nur ein Faden, an dem Walker die Episoden seines Rachefeldzuges aufreiht. Und auch hier ist die Chronologie löchrig. Erinnerungsfragmente mischen sich mit momentanen Ereignissen (das Wiedersehen mit Reese, die letzte Begegnung mit seiner Frau).
Zudem springt Walker von einem Handlungsschauplatz zum nächsten – abgesehen von seiner Flucht von Alcatraz (die bezeichnend ganz ohne Ton auskommt), bewegt er sich beinahe nie von einem Ort zum nächsten, sondern ist immer da, wenn es sein muss (Hochhaus der Organisation, Nachtclub, Villa, Alcatraz). Wie in einem Traum ist Walker nicht an die normalen Reisewege & -zeiten gebunden.
Fazit
Egal, wie man Boormans Meisterwerk deutet – als Rachegeschichte oder Phantasie eines Sterbenden, rein visuell ist und bleibt Point Blank ein absoluter Hammer. 40 Jahre sind ein Scheißdreck für den Streifen. Marvins Walker ist dermaßen cool und hart – zur Hölle mit den ganzen heutigen Actionhelden.
Und ja, es gab ein loses Remake namens Payback (1999) mit Mel Gibson – aber mal ehrlich: Wer zum Teufel braucht das?
Dream about you. / How good it must be… / being dead.
Fakten
Deutscher Titel: Point Blank – Keiner darf Überleben
Alternative Titel & Arbeitstitel: –
Studio: MGM
Regisseur: John Boorman
Darsteller: Lee Marvin, Angie Dickinson, Keenan Wynn
Drehbuch: Alexander Jacobs, David Newhouse, Rafe Newhouse
Musik: Johnny Mandel
Basierend auf: Donald E. Westlakes The Hunter
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